6. Juni 2019
Heute schreibe ich über das Arbeiten. Auch Schuften oder Plackerei genannt. Die bezieht sich beim Blog Edna Mo nicht auf das Bloggen, sondern auf die langwierige und mitunter anstrengende Arbeit, aus dem flüssigen Werkstoff Kunstharz augenschmeichelnde Schmuckstücke zu fertigen.
Zumeist sieht hier im Blog den fertigen Schmuck oder mich in einer fancy Fotostory, behangen mit hochdekorativen Erzeugnissen, oder meine einsamen Hände, die in den DIY-Tutorials durchs Bildfeld krabbeln. Dem Beitrag heute widme ich der umgekehrten Perspektive, nämlich wie das aussieht, wenn ich arbeite. Und worüber ich mir Gedanken mache, wenn mir der Kunstharz gerade nicht am Ellenbogen heruntertropft oder auch gerade dann.
Kunstharz-Punkte in allen Variationen sind derzeit ein beherrschendes Arbeitsthema. Hier sieht man zwei Armreifen in Vorbereitung.
Neulich hatte ich eine kleine Diskussion mit meiner Schwester, die sich kopfschüttelnd gefragt hat, warum Menschen den partout bloggen müssen und warum es der weiblichen Ü50-Zielgruppe so unendlich wichtig sei, hobbymäßig genau so manisch über Ihr Leben und/oder Klamotten zu bloggen wie die Kids, die darauf hoffen, daraus so etwas wie einen Beruf zu machen.
Das erinnerte mich an die Frage an den Schriftsteller Philippe Djian, warum er Schriftsteller geworden sei. Seine Antwort: "Weil ich nicht anders kann!" Blogger könnten theoretisch ja schon anderes. Was die Motivation für die PlusAgeBlogger jedoch ausmacht, ist der Umstand, dass a) es sie in nicht zu unterschätzender Zahl gibt b) sie im öffentlichen Leben tendenziell eine eher untergeordnete Rolle spielen und c) leider oft auch unscheinbar und unsichtbar erscheinen.
Wen wundert's: wer sich und seine Kraft über viele Jahre auf Beruf, Haus, Kind und Partnerschaft aufgeteilt hat, muss schon King Kong sein, um als kleines, heimliches Nebenprojekt noch eine schillernde Persönlichkeit auszubilden. Die dann pünktlich prachtvoll aus der Kiste hüpft, wenn Mann, Kind und Haus Geschichte sind.
Kann ich alles nachvollziehen. Hat man die bittere Pille geschluckt, dass die Jugend vorbei und die Energie aufgebraucht ist, um dann auf dem straighten Pfad Richtung Tod noch unendlich weitere 20 Lebensjahre auf der Arbeit verplempern zu müssen, - wer will sich da noch freiwillig waschen und was Hübsches anziehen?
"Unf***able" nannte ein Zeit-Redakteur die selten in Filmen anzutreffende Altersgruppe der Schauspielerinnen über 60, und auch wenn das Wort etwas zu plastisch für meinen Geschmack ist, beschreibt es doch sehr gut den etwas despektierlichen Blick der Gesellschaft auf die ältere Frau.
Und jetzt gehöre ich (bald) selbst dazu. Glücklicherweise definiere ich mich nicht allzusehr über ein verkopftes Frau-sein, sondern eher über ein unmittelbares Ich- oder Da-sein. Und das Da-sein findet zum großen Teil nicht fotogen anbiedern-lasziv-hingegossen statt, sondern griesgrämig-verzottelt-schuftend, so wie bei jedem anderen Menschen auch.
Diese eher an der Realität orientierte Fotostrecke habe ich für meinen Etsy-Shop gemacht, in der ich als Produzentin im Vordergrund stehe. Und Puder aufgelegt. Und ein Glas Sekt getrunken, daher meine zart gerötete Wangen. Besser als Blush würde ich sagen. Könnte natürlich auch Arbeitseifer sein.
Für die Fotos habe ich im Vorfeld massiv aufgeräumt, auch wenn es nicht danach aussieht (sic!). Was man nicht sieht, ist die berauschende Kelleratmosphäre. Als mich neulich jemand für eine Schmuckkonsultation im Atelier besuchte, kam nach einem hörbaren Einatmen die (leicht nervös angehauchte) Frage "Arbeitest Du hier auch?"
Scheiße ja, ich wüßte nicht, wo ich soviel Platz für so kleines Geld in einer Großstadt wie Düsseldorf auftreiben sollte. In meiner Wohnung harze ich ganz sicher NICHT.
Sorry, kein lichtdurchfluteteter Altbauloft mit malerischen Backsteinwänden, in der sich dekorativ Sperrmüllmöbel und Kakteen in kupferfarbenen Vasen tummeln. Ein Espressotässchen auf der auf hochglanzpolierten Nußbaumtischplatte und ich - träumerischer Blick, leichtes Lächeln und zerzaustes Haar, in todschicken Fellpantöffelchen, in einem völlig makellosen Mischbecher mit Harz rührend ....
Auch wenn sie glasklar beschönigend sind, zeigen meine Fotos, wo und womit Edna Mo den überwiegenden Teil ihrer Zeit beschäftigt ist (mit Selfies machen, offensichtlich?). Denn die Arbeit mit Kunstharz ist und bleibt mein Baby, mein Steckenpferd und meine große Leidenschaft. Aber es ist auch Dreckszeug, es klebt, es ferkelt, es mag nicht, so wie ich mag. Erst neulich habe ich den Mischbecher mit 300 g Harzgemisch umgeworfen und meine Arbeitsplatte geflutet. Beziehungsweise die tetrisartige Struktur, unter der sich (so vermute ich) die Arbeitsplatte befinden müsste.
Das war ein Spaß!
Bloggen, Tutorials ausdenken, Fotos machen und (mich mit) meinem Schmuck zeigen ist verglichen damit "nur" eine Nebenbeschäftigung. Und da die Kundenaufträge in diesem Jahr einfach keine Pause einlegen wollen, erlebe ich, wie sich meine Tätigkeitsschwerpunkte, die sowieso alltime-floating sind, wieder einmal verschieben.
Bei flachen Schmucksteinen aus Resin erfolgt die Oberflächenbearbeitung auf einer umgebauten Töpferscheibe im Nassschliff. Bei flachen Teilen hole ich mir standardmäßig blutige Fingerkuppen.
Das Bloggen ist ein Plus unserer Zeit. Ist es nicht toll, dass manche Menschen hochinteressante Nischenthemen für sich entdeckt haben, und zudem ein unterhaltsames Händchen fürs Schreiben von Texten oder der Anfertigung von Fotos in die Wiege gelegt ist? Ich finde schon. Viele tolle Erkenntnisse und Kontakte hat mir das Bloggen beschert, die ohne niemals zustande gekommen wären.
Woran mir der Unterhaltungswert allerdings gänzlich zu abhanden kommen droht - bis zu dem Punkt, dass mir die Thematik sauer aufstößt - ist das reine und unverfälschte Konsum-Bloggen. Ich meine jetzt nicht die Pflicht nach Kennzeichnung, wenn hier und da ein Ding beim Namen genannt wird. Nein, ich meine die Blogs, wo es in jedem Beitrag von Dings und Bums und Links nur so hagelt. Die Radlerhose ist zurück - aber in neonpink, die Gürteltasche wird jetzt - total freaky - quer getragen, mit diesem Serum wird man - selbst im Grab - noch faltenfrei und - nur mit dieser sündteuren Maschine - gelingt Kaffee auf Knopfdruck. Da mutiert das Blog zu allen zwölf Anzeigenbeilage in der Samstagszeitung und zu sämtlichen Werbeblöcken im Viertel-nach-Acht-Film. Ich sollte solche Blogs nicht lesen. Aber ich habe irgendwo die heimlich Hoffnung, dass irgendwo ein/-e Blogger/-in versteckt ist, die/der Lust hat, etwas zu Spannendes erzählen, was nicht primär mit Produktbeschreibung, Produktbenutzung, Kauferlebnis oder Geld-ausgeben zu tun hat.
Aber nicht nur, dass Blogs mit Dauermarkenbeschallung gähnend langweilig sind: dass permanenter wirtschaftlicher Wachstum, Wegwerf-Konsum und Ausbeutung von Ressourcen das Ende unserer Welt, wie wir sie kennen, einläutet, dürfte man mittlererweile mitbekommen haben.
Wenn ich morgens früh bei Sonnenaufgang mit dem Rad zur Arbeit strampele, habe ich manchmal das Gefühl, dass eigentlich noch alles in Ordnung ist. Und das Fehlen unmittelbarer Indizien (heftige Gewitter gabs doch schon immer) macht den Klimawandel sicherlich für viele schwer zu begreifen. Auch mich hat die Fridays-for-Future-Bewegung aus meinem PlusAger-Dornröschenschlaf-Kokon gerissen und mir alles das, was schon seit Jahren im Hintergrund diskutiert wird (und woran ich beruflich sogar teilhabe) massiv in Erinnerung gerufen. Mit der Erkenntnis: alles ist real und nichts davon ist besser geworden.
Ich grübele über die Umsetzung eines verschachtelten Punkte-Arrangements für einen Gießharz-Armreifen. Da die Punkte vorab "zusammengeklebt" werden, ist das eine recht ordentliche um-die-Ecke-Denkerei.
Wo finde ich mich, in dieser Welt, in der alles gleichzeitig gut und gleichzeitig schlecht ist?
Soll ich im Supermarkt nun die Bio-Heidelbeeren aus Chile oder die Non-Bio-Heidelbeeren aus Spanien kaufen? Ist es nicht sinnvoller, das Erdöl in Form von Benzin zu benutzen, anstatt es für die Herstellung von Kunststoff zu verwenden, welcher als Müllinseln die Weltmeere bedroht? Soll man besser die Spülmaschine laufen zu lassen, oder von Hand spülen, auch wenn man im ersten Fall die Spülbürste mitwaschen/ entkeimen kann und im zweiten Fall nach einer Woche wegen akutem Erreger-Befall wegschmeißen soll? Ist das E-Auto nicht nur das Methadon für die Verfechter des Individualverkehrs, das man sich als Zweit- oder Drittwagen anschafft? Sind selbst viele neue Photovoltaik-Anlagen nichts anderes als technologischer Wachstum und "Pro-Klima-Konsumartikel" für Leute, die es sich leisten können? Klimaschutz durch noch mehr Technologie?
Als Privatperson finde ich mich in vielen dieser kleinen moralischen Fallen wieder.
Ist es gerechtfertigt, mit handgefertigtem Schmuck aus Kunstharz einen Online-Shop zu betreiben, und mit endlosen Materialsendungen hin und Lieferungen rund um den Globus zurück die Klimabilanz weiter zu gefährden?
Nur, weil ich das für mein Ego brauche?
Natürlich habe ich keine Antworten auf alle diese Fragen. Mir hat man die "Du kannst alles erreichen, was Du Dir wünschst"-Programmierung aus der 80er-Jahre-Aufschwungsära eingeimpft. Individualität durch Materialität ist eben auch ein Heilsversprechen unserer Erstwelt-Gesellschaft. Diese Überfluss-Krankheit auszukurieren benötigt vielleicht doch länger als nur ein paar-Fridays-Monate. Bis achtsames Kaufen das neue Haben-Wollen und Verzichten der neue heiße Scheiß sein wird, wird wohl noch der eine oder andere Hitzesommer übers Land ziehen müssen.
Als ich neulich mit einem jungen, klimabewegten Menschen die Spülbürste-versus-Spülmaschinen-Argumente ausfechten wollte, heftete er seine Augen direkt auf meine und fragte "Selbstmord wär dann wohl der beste Klimaschutz?"
Damit war die Diskussion dann auch beendet.
Sympathie für die Fridays!
Und Grüße an alle anderen von Edna Mo