Über Fotografie und die inszenierte Aufnahme_2

Nach den grundlegenden Überlegungen was Fotografie für mich tun kann und wie sich Fotografie einsetzen lässt, nehme ich ein dickes Brett in Angriff.

Ein Fotoshooting, in dem

- ein Objekt im Vordergrund steht (alle Augen aufs Objekt!)

- mit Person als "Beiwerk" (die ist sinnvoll, aber unwichtig)

- ergänzt durch Elemente, die eine bestimmte Stimmung erzeugen
(ziemlich wichtig)

Wie Du siehst, wird in der Aufnahme mit drei wichtigen Faktoren gearbeitet, die in den richtigen Darstellungskontext sortiert werden müssen, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen.

Die Stimmung ist mir dabei besonders wichtig. Auf meinem Blog wirken die Fotos mehr oder weniger hübsch und positiv, vielleicht ein wenig gestellt und gekünstelt, aber dadurch auch austauschbar. Wer eine schöne Oberfläche zeigt, darf sich auch nicht wundern, wenn die Aussage oberflächlich bleibt (wenn ich meine Fotos so reflektiere, bekomme ich direkt einen Gähnkrampf).

Immer mal wieder habe ich so Anwandlungen, ob man eine schöne Produktdarstellung nicht auch in einen etwas anderen fotografischen Kontext stellen kann. Mein Arbeitsbegriff dafür ist "Raw" und erstmalig habe ich das durch eine etwas gnadenlose Blitz-Beleuchtung im letzten Sommer ausprobiert. Leider geht die technische Überbelichtung oft zu Lasten der Produktdarstellung, so dass sich diese Technik nicht für alle Aufnahmesituationen sinnvoll benutzen lässt.

 

How to start

 

Wie findet man sich jetzt in diesem Wust an Überlegungen zurecht?
Am Beispiel des Shootings "Alu + Resin Ringe" nehme ich nacheinander alle Komponenten in den Blick und zeige, welche Fotos das Resultat des Kopfkinos geworden sind.

Am Anfang stehen zwei Dinge, die zusammenpassen sollten. Das ist

 

1) das Objekt, hier: Ringe

und

2) eine atmosphärische Idee,

hier: Lisbeth Salander aus "Verblendung"

 

Quelle: Wikipedia.de

Was jetzt?

Mir geht es dabei gar nicht um die Figur aus dem Film, sondern die Atmosphäre, die diese Figur so eindrucksvoll verkörpert:

körperbetont, düster, abweisend, seltsam.

Zu den Ringen, die eben mit Aluminiumblech gefertigt sind, passt alles silbern metallische, schwarz und Nieten hervorragend. Und das bringt die Filmfigur auch direkt mit.

Und da ich für mich begriffen habe, dass Ringe idealerweise an Händen fotografiert werden, komme ich also nicht umhin, mich in meiner Rolle als Modell mit in die Überlegung einzubauen.

3) Wie stelle ich mir die Aufnahme vor?

 

Der Einfachheit halber kucke ich mir alle Fotos an, die ich von Lisbeth Salander im Internet finde und notiere mir alle Elemente, die ich gut finde (man muss ja nichts neues erfinden, ist eh schon alles mal irgendwann vom irgendwem gemacht worden. Um einen Ausgangspunkt zu finden, vom dem aus man selbst kreativ werden kann, ist nichts einfacher als " pick somebody's brain", dazu hat Andy Warhol schließlich schon geraten):

 

- schwarz, schwarz, schwarz

- Kontraste

- punk-like Styling

- schwarze Lippen

4) Bildaufbau

Hände mit Ringen im Vordergrund (wo sonst?),
Kopf und Rest vom Körper im Hintergrund

Ein elementarer Punkt für die Aufnahme sind die Hände. Beim letzten Ring / Hände-Shooting habe ich die Hände "kosmetisch" gehalten. Dabei sehen die Hände nur schön aus,  sonst nichts. Passt in meine Stimmungskonzeption aber überhaupt nicht rein.

Für dieses Shooting will ich andere Hände. Sie sollen angestrengt und unnatürlich, fast verrenkt (kraftvoll, körperbetont) aussehen. Dafür habe ich auch nach einem Ansatz gesucht, eine Vorlage, an der ich mich orientieren kann.

Und habe sie gefunden in einem Tanzstil, der übertriebene und stark abgewinkelte Handhaltungen einsetzt: das Voguing.

Quelle: Youtube.com, "MOVEment: Chalayan x AyaBambi and Ryan Heffington"

In den Dance-Clips konnte ich zusätzliche Styling-Ideen finden, denn beim Voguing ist das Kostüm auch ein wichtiger Bestandteil.

Die technische Umsetzung

5) Aufnahmesituation

Nach den theoretischen Vorüberlegungen kommt der Punkt, an dem man alles "real" werden lässt. Für mich steht fest: diese Aufnahme kann ich per Selbstauslöser nur im Studio umsetzen. Die Detailaufnahme der Ringe ist etwas, was sehr kontrolliert von statten gehen muss, und das geht nur mit vielen, vielen Versuchen und einem großen zeitlichen Spielraum.

Grundsätzlich sind bei den Voguing-Handposen die Hände immer zentral zur Kamera ausgerichtet. Diese Achse bestimmt die Anordnung von Kamera zum Modell.

Hürde Nummer eins: Weil Hände und Gesicht gleichzeitig zu sehen sind, muss der Fernauslöser mit dem Fuß bedient werden. Für das genaue "Zielen" innerhalb des Bildausschnitts ist das nur in sitzender Position und Aufnahmen nur bis zum Bauch möglich .

 

Hürde Nummer zwei: Der Fernauslöser muss für den Fußbetrieb extra umgebaut werden (welcher Schwachmat erfindet bloß einen Fernauslöser mit einem, winzigen, versenkten Knopf?????? Wie soll ich den mit meiner dicken Zehe treffen? No way!).

 

Hürde Nummer drei: Aufnahme ohne Brille bedeutet, ich bin blind wie ein Maulwurf. Also muss eine Aufnahmesituation gefunden werden, in der ich ohne den Kopf zu drehen auf den Laptop kucken kann (auf den die Bilder übertragen werden), ohne dass dieser irgendwie im Bild zu sehen ist.

6) Licht

Als Fotograf ist Licht eine dreidimensionale Materie. Man kann es regelrecht "sehen": aus welcher Richtung es kommt, wie weich oder hart es ist, welche Farbe und Intensität es hat, welche Schatten es wirft und natürlich: wie es auf einem Foto aussehen wird.

Im Studio kann man Licht machen, wie man will. Das ist toll. Das Licht bleibt außerdem konstant, was im Vergleich zum Fotografieren in freier Natur ein großer Vorteil ist. Im Studio wird das Licht passend zur Aufnahmesituation eingerichtet.

Für die zentral ausgerichtete Aufnahmesituation setze ich die Kamera frontal vor den Aufnahmehocker etwas über Augenhöhe. Die Softbox sitzt direkt über derKamera und ist damit relativ hoch. Damit kommt das Licht schräg von oben, wodurch weiche, aber tiefe Schatten entstehen. Somit sind die Hände (weil vorne) im Licht, das Gesicht wird beschattet.

Eine zweite Softbox von unten ist optional, wenn für bestimmte Handposen zusätzliches Licht von unten gebraucht wird. Und so sieht die technische Vorbereitung und der Lichttest dann aus.

Über Fotografie und die inszenierte Aufnahme_2
Über Fotografie und die inszenierte Aufnahme_2

Und so sieht die technische Vorbereitung und der Lichttest dann aus. Ich wundere mich zwar auch jedesmal über die alte Schachtel, die in diesen Testaufnahmen im Bild zu sehen ist, finde aber, dass das Licht wirklich ganz zauberhaft modelliert, und einen wunderbaren Hautton und räumliche Tiefe erzeugt.

Die gestalterische Umsetzung

Das ist der spaßige Part am Fotografieren: durch Haare/Make-up, Styling und Accessoires kommen die emotionalen Aspekte ins Bild. Besser, man hat etwas Auswahl, damit man bei Bedarf (also wenn es auf dem Foto dann doch nicht so gut aussieht wie gedacht) wechseln kann.

7) Styling

Kleidung reduziert, da der Körper absolute Nebensache ist, also: ein schwarzes Trägertop.

Betonung der Arme und Hände durch:

  • fingerlose Handschuhe
  • Armbänder
  • schwarze Klebstreifen auf den Fingergliedern
Über Fotografie und die inszenierte Aufnahme_2

8) Haare

Nicht weich und feminin, sondern ölig zurückgeklebt und strähnig sollen sie sein.

Beim Lichttest wirkten die Haare farblos und indifferent, daher habe ich mir kurzfristig noch eine Tönung besorgt.

8) Make-up

Ein normales Make-up würde vielleicht die Gesamtwirkung wieder zurücknehmen.

Daher Maske statt Make-up. Eine verstörende Wirkung kann man dadurch erzielen, dass man das Gesicht verfremdet.

Mit weißer Schminke, schwarzen Lippen und sinnfreien Elementen wird das Gesicht seltsam clownesk.

Das "Alu + Resin Ring"-Shooting

Nach all der langen gedanklichen und auch organisatorischen Vorbereitung nützt alles zaudern nichts, dann wird fotografiert. Aus allen Inspirationen und Vorstellungen werden dann echte Aufnahmen.

Rund 800 Belichtungen waren nötig, davon rund 200 Belichtungen zu Anfang mit dem Einfinden in die Situation (schwieriger als gedacht) und zusätzlich 200 Fehl-Belichtungen (das Auslösen mit der großen Zehe ist nicht unbedingt eine präzise Angelegenheit). Am Ende habe ich 22 sehr gute Aufnahmen ausgewählt, einen Teil zeige ich hier und einen zweiten im Rahmen der DIY-Anleitungsstrecke, für deren Bebilderung die Aufnahmen erstellt wurden.
Die Veröffentlichung ist am 18.04. hier auf diesem Blog!

Zwei Planungshürden habe ich erst beim Fotografieren gemerkt, daher hat es etwas gedauert, bis ich richtig loslegen konnte.

Nummer eins: die Voguing-Handposen zeigen den Handrücken frontal. Dann sieht man von den Ringen allerdings nur die Aluminiumschiene und nicht die Farbfüllung. Daher musste ich das Handhaltungen so variieren, dass man einen schrägen Blickwinkel auf die Hände hat.
Selber schuld: hätte ich eigentlich beim Lichttest mal ausprobieren können  - Ringe und Handhaltung in Kombination.

Nummer zwei: das Make-up ist sehr dominant und hat auf den Fotos stark von den Ringen abgelenkt. Daher habe ich beim Posieren auf eine großtmögliche Verdeckung des Gesichts mit den Händen geachtet und auch bei der Bildauswahl den Fokus auf "so wenig Gesicht wie möglich" gelegt.
Erschwerend kam hinzu, dass die weiße Schminke trotz Tonnen von Puder sehr schnell glänzte und die schwarzen Zeichnungen aufgrund des Fettanteils in der Schminke rasch an Kontur verloren haben. Selber schuld, wenn man das vorher nicht mal ausprobiert! Schmeiß ich direkt weg, das Zeug.

Ich gebe zu, dass mich die ersten 200 Belichtungen sehr irritiert haben, weil die Wirkung eine andere war als beabsichtigt und die Nachteile der Schminke mir einen ungewollten Zeitdruck verschafft haben. Trotzdem konnte ich das Unwohlsein irgendwie analysieren und  einigermaßen umschiffen. Nachträglich bin ich froh, dass ich vorher nicht aufgegeben, sondern alles durchgekliniert und solange fotografiert habe, bis mir wirklich überhaupt nichts mehr eingefallen ist.
Mit dem Ergebnis bin ich jetzt sehr, sehr zufrieden und kann sagen, dass auch im Hinblick auf den Wunsch nach atmosphärischer "Aufladung" die Aufnahmen recht gut geworden sind.

 

Lass Dich mitnehmen und herzlich grüßen von

Edna Mo

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Edna Mo

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T
Das ist Dir sowas von gelungen und das ist absolut mein Ding. Das ist schon Kunst! Und ich verstehe die Leidenschaft eine Stimmung zu konstruieren und das so perfekt zu fotografieren. Danke Dir für die tollen Erklärungen. Ich experimentiere ständig mit der Kamera und beschäftigte mich damit, aber richtig tolle Ergebnisse erziele ich nie :)<br /> Liebe Grüße Tina
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E
Huhu liebe Tina, ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar, Du hast meine Bemühungen exakt beschrieben. Klasse!<br /> Ich verstehe, was Du mit deinen Experimenten meinst. Allerdings finde ich, dass Du ganz verspielt und unverkrampft mit der Kamera umgehst (auch als Modell finde ich dich klasse!). Da kommt oft so eine Leichtigkeit rüber und man spürt Deine Begeisterung für das Gesehene. Diesen "untechnischen Charme" darfst Du nicht unterschätzen. Arbeite doch lieber mehr damit!<br /> Ganz viel Erfolg bei deinen wunderbare Fotostories!<br /> Herzlich grüßt<br /> Edna Mo<br />
B
mir ist es auch etwas viel an glitzernagellack, schminke und im detail nicht sehr wertig aussehendem armschmuck (die nieten- und perlengebilde) am effektvollsten finde ich die handschuhe und als kontrast dazu das tape. alle achtung habe ich vor der fotostellage und deinem posingaufwand und bin gespannt auf den nächsten beitrag dazu. liebe grüße - bärbel ☼
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E
Huhu liebe Üffi, <br /> jetzt geht mir doch etwas der Zusammenhang verloren - wo bist Du - wo bin ich? Offensichtlich woanders! <br /> Trotzdem lieben Dank, dass Du bis zum Ende des Blogpost durchgehalten hast!<br /> Herzlichst Deine Edna Mo
B
Aber ja, mehr als einen ;-)
E
Huhu Bärbel,<br /> feinen Dank für deine klaren Worte. Schön im Sinne von angenehm sollen die Fotos nicht sein. Wenn ich es geschafft habe, einen "Störfaktor" einzubauen, so wie deine Worte vermuten lassen, bin ich sehr zufrieden. <br /> Herzlich grüßt Dich<br /> Edna Mo
S
Die Inszenierung Deiner sensationellen Ringe ist Dir zu 120% geglückt. LG Sunny
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E
Danke für dein klares Statement! Dir einen schönen Sonntag und liebe Grüße Edna Mo
H
:-) Liebe Edna Mo,<br /> Wow! Wow! Wow! <br /> Wahnsinn, was Du da gemacht hast. Das ist wirklich eine super tolle und stimmige Inszenierung.<br /> Ob ich das schaffe, mal sehen... ich glaub' mir fehlt in erster Linie die zeit dafür.<br /> Herzliche Grüße und genieße das Wochenende :-)
Antworten
E
Leider macht dieses "in Bildern denken" auch furchtbar viel Spaß, und dem Blog kommt es zu Gute. Ich musste mich ja auch ein bißchen dazu treiben mich darauf einzulassen!<br /> Lieben Dank für Deine aufmunterneden Worte.Viele Grüße sendet Dir Edna Mo
E
Ich habe deinen Post mit grossem Interesse gelesen. Meistens benutze ich an meiner Kamera den "Automatik Modus". Dabei hätte ich manchmal gerne diesen verwischten Hintergrund mit scharfem Motiv im Vordergrund. Und dann die Positionierung des Lichts. Es macht mich wahnsinnig, wenn ich vor dem Hintergrund Schatten werfe. Direkt über/hinter der Kamera habe ich noch nie ein Licht positioniert. Aber ich probiere das auf jeden Fall aus. Deine Fotos sind richtig gut geworden!<br /> LG Eva
Antworten
E
Huhu Eva, mit der Blendenautomatik bekommst Du das hin, was Du Dir vorstellst. Die vorgewählte Blende muss eine relativ kleine Zahl haben, den Rest macht dann die Kamera! Have a try! Und lieben Dank für Deinen Kommentar!<br /> Herzliche Grüße sendet Dir Edna Mo!
P
Wow! Ganz schön viel Aufwand um etwas Kunstvoll in Szene zu setzen! Die Bilder sind sicherlich künstlerrisch wertvoll - aber für mich als Kunstbanause zuviel des Guten! Du wolltest die Ringe zeigen *richtig*? Ganz ehrlich - ich habe sie gesucht - ich war mit den anderen Details so beschäftigt, das ich die Ringe erst gar nicht wahrgenommen habe, ich musste mir die Bilder mehrfach ansehen und dann habe ich sie entdeckt Sie sind ja nicht unauffällig, aber ich sehe immer erst alles andere und dann das Wesentliche! Ich bin echt beeindruckt und finde es genial das Du mich mitnimmst in die Kunst der Fotografie! Danke dafür! Liebe Grüße Patricia
Antworten
E
Huhu Patricia,<br /> wahrscheinlich ist es so, dass die lange beschäftigung mit Bildern dazu beiträgt, etwas relativ systematisch entschlüsseln zu können.<br /> Ist sicher Übungssache. Ich danke Dir herzlich für Deinen ausführlichen Kommentar!<br /> Sonnige Grüße Edna Mo