1. April 2017
Nach den grundlegenden Überlegungen was Fotografie für mich tun kann und wie sich Fotografie einsetzen lässt, nehme ich ein dickes Brett in Angriff.
Ein Fotoshooting, in dem
- ein Objekt im Vordergrund steht (alle Augen aufs Objekt!)
- mit Person als "Beiwerk" (die ist sinnvoll, aber unwichtig)
- ergänzt durch Elemente, die eine bestimmte Stimmung erzeugen
(ziemlich wichtig)
Wie Du siehst, wird in der Aufnahme mit drei wichtigen Faktoren gearbeitet, die in den richtigen Darstellungskontext sortiert werden müssen, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen.
Die Stimmung ist mir dabei besonders wichtig. Auf meinem Blog wirken die Fotos mehr oder weniger hübsch und positiv, vielleicht ein wenig gestellt und gekünstelt, aber dadurch auch austauschbar. Wer eine schöne Oberfläche zeigt, darf sich auch nicht wundern, wenn die Aussage oberflächlich bleibt (wenn ich meine Fotos so reflektiere, bekomme ich direkt einen Gähnkrampf).
Immer mal wieder habe ich so Anwandlungen, ob man eine schöne Produktdarstellung nicht auch in einen etwas anderen fotografischen Kontext stellen kann. Mein Arbeitsbegriff dafür ist "Raw" und erstmalig habe ich das durch eine etwas gnadenlose Blitz-Beleuchtung im letzten Sommer ausprobiert. Leider geht die technische Überbelichtung oft zu Lasten der Produktdarstellung, so dass sich diese Technik nicht für alle Aufnahmesituationen sinnvoll benutzen lässt.
Wie findet man sich jetzt in diesem Wust an Überlegungen zurecht?
Am Beispiel des Shootings "Alu + Resin Ringe" nehme ich nacheinander alle Komponenten in den Blick und zeige, welche Fotos das Resultat des Kopfkinos geworden sind.
Am Anfang stehen zwei Dinge, die zusammenpassen sollten. Das ist
1) das Objekt, hier: Ringe
und
Was jetzt?
Mir geht es dabei gar nicht um die Figur aus dem Film, sondern die Atmosphäre, die diese Figur so eindrucksvoll verkörpert:
körperbetont, düster, abweisend, seltsam.
Zu den Ringen, die eben mit Aluminiumblech gefertigt sind, passt alles silbern metallische, schwarz und Nieten hervorragend. Und das bringt die Filmfigur auch direkt mit.
Und da ich für mich begriffen habe, dass Ringe idealerweise an Händen fotografiert werden, komme ich also nicht umhin, mich in meiner Rolle als Modell mit in die Überlegung einzubauen.
3) Wie stelle ich mir die Aufnahme vor?
Der Einfachheit halber kucke ich mir alle Fotos an, die ich von Lisbeth Salander im Internet finde und notiere mir alle Elemente, die ich gut finde (man muss ja nichts neues erfinden, ist eh schon alles mal irgendwann vom irgendwem gemacht worden. Um einen Ausgangspunkt zu finden, vom dem aus man selbst kreativ werden kann, ist nichts einfacher als " pick somebody's brain", dazu hat Andy Warhol schließlich schon geraten):
- schwarz, schwarz, schwarz
- Kontraste
- punk-like Styling
- schwarze Lippen
4) Bildaufbau
Hände mit Ringen im Vordergrund (wo sonst?),
Kopf und Rest vom Körper im Hintergrund
Ein elementarer Punkt für die Aufnahme sind die Hände. Beim letzten Ring / Hände-Shooting habe ich die Hände "kosmetisch" gehalten. Dabei sehen die Hände nur schön aus, sonst nichts. Passt in meine Stimmungskonzeption aber überhaupt nicht rein.
Für dieses Shooting will ich andere Hände. Sie sollen angestrengt und unnatürlich, fast verrenkt (kraftvoll, körperbetont) aussehen. Dafür habe ich auch nach einem Ansatz gesucht, eine Vorlage, an der ich mich orientieren kann.
Und habe sie gefunden in einem Tanzstil, der übertriebene und stark abgewinkelte Handhaltungen einsetzt: das Voguing.
Quelle: Youtube.com, "MOVEment: Chalayan x AyaBambi and Ryan Heffington"
In den Dance-Clips konnte ich zusätzliche Styling-Ideen finden, denn beim Voguing ist das Kostüm auch ein wichtiger Bestandteil.
5) Aufnahmesituation
Nach den theoretischen Vorüberlegungen kommt der Punkt, an dem man alles "real" werden lässt. Für mich steht fest: diese Aufnahme kann ich per Selbstauslöser nur im Studio umsetzen. Die Detailaufnahme der Ringe ist etwas, was sehr kontrolliert von statten gehen muss, und das geht nur mit vielen, vielen Versuchen und einem großen zeitlichen Spielraum.
Grundsätzlich sind bei den Voguing-Handposen die Hände immer zentral zur Kamera ausgerichtet. Diese Achse bestimmt die Anordnung von Kamera zum Modell.
Hürde Nummer eins: Weil Hände und Gesicht gleichzeitig zu sehen sind, muss der Fernauslöser mit dem Fuß bedient werden. Für das genaue "Zielen" innerhalb des Bildausschnitts ist das nur in sitzender Position und Aufnahmen nur bis zum Bauch möglich .
Hürde Nummer zwei: Der Fernauslöser muss für den Fußbetrieb extra umgebaut werden (welcher Schwachmat erfindet bloß einen Fernauslöser mit einem, winzigen, versenkten Knopf?????? Wie soll ich den mit meiner dicken Zehe treffen? No way!).
Hürde Nummer drei: Aufnahme ohne Brille bedeutet, ich bin blind wie ein Maulwurf. Also muss eine Aufnahmesituation gefunden werden, in der ich ohne den Kopf zu drehen auf den Laptop kucken kann (auf den die Bilder übertragen werden), ohne dass dieser irgendwie im Bild zu sehen ist.
6) Licht
Als Fotograf ist Licht eine dreidimensionale Materie. Man kann es regelrecht "sehen": aus welcher Richtung es kommt, wie weich oder hart es ist, welche Farbe und Intensität es hat, welche Schatten es wirft und natürlich: wie es auf einem Foto aussehen wird.
Im Studio kann man Licht machen, wie man will. Das ist toll. Das Licht bleibt außerdem konstant, was im Vergleich zum Fotografieren in freier Natur ein großer Vorteil ist. Im Studio wird das Licht passend zur Aufnahmesituation eingerichtet.
Für die zentral ausgerichtete Aufnahmesituation setze ich die Kamera frontal vor den Aufnahmehocker etwas über Augenhöhe. Die Softbox sitzt direkt über derKamera und ist damit relativ hoch. Damit kommt das Licht schräg von oben, wodurch weiche, aber tiefe Schatten entstehen. Somit sind die Hände (weil vorne) im Licht, das Gesicht wird beschattet.
Eine zweite Softbox von unten ist optional, wenn für bestimmte Handposen zusätzliches Licht von unten gebraucht wird. Und so sieht die technische Vorbereitung und der Lichttest dann aus.
Und so sieht die technische Vorbereitung und der Lichttest dann aus. Ich wundere mich zwar auch jedesmal über die alte Schachtel, die in diesen Testaufnahmen im Bild zu sehen ist, finde aber, dass das Licht wirklich ganz zauberhaft modelliert, und einen wunderbaren Hautton und räumliche Tiefe erzeugt.
Das ist der spaßige Part am Fotografieren: durch Haare/Make-up, Styling und Accessoires kommen die emotionalen Aspekte ins Bild. Besser, man hat etwas Auswahl, damit man bei Bedarf (also wenn es auf dem Foto dann doch nicht so gut aussieht wie gedacht) wechseln kann.
7) Styling
Kleidung reduziert, da der Körper absolute Nebensache ist, also: ein schwarzes Trägertop.
Betonung der Arme und Hände durch:
8) Haare
Nicht weich und feminin, sondern ölig zurückgeklebt und strähnig sollen sie sein.
Beim Lichttest wirkten die Haare farblos und indifferent, daher habe ich mir kurzfristig noch eine Tönung besorgt.
8) Make-up
Ein normales Make-up würde vielleicht die Gesamtwirkung wieder zurücknehmen.
Daher Maske statt Make-up. Eine verstörende Wirkung kann man dadurch erzielen, dass man das Gesicht verfremdet.
Mit weißer Schminke, schwarzen Lippen und sinnfreien Elementen wird das Gesicht seltsam clownesk.
Nach all der langen gedanklichen und auch organisatorischen Vorbereitung nützt alles zaudern nichts, dann wird fotografiert. Aus allen Inspirationen und Vorstellungen werden dann echte Aufnahmen.
Rund 800 Belichtungen waren nötig, davon rund 200 Belichtungen zu Anfang mit dem Einfinden in die Situation (schwieriger als gedacht) und zusätzlich 200 Fehl-Belichtungen (das Auslösen mit der großen Zehe ist nicht unbedingt eine präzise Angelegenheit). Am Ende habe ich 22 sehr gute Aufnahmen ausgewählt, einen Teil zeige ich hier und einen zweiten im Rahmen der DIY-Anleitungsstrecke, für deren Bebilderung die Aufnahmen erstellt wurden.
Die Veröffentlichung ist am 18.04. hier auf diesem Blog!
Zwei Planungshürden habe ich erst beim Fotografieren gemerkt, daher hat es etwas gedauert, bis ich richtig loslegen konnte.
Nummer eins: die Voguing-Handposen zeigen den Handrücken frontal. Dann sieht man von den Ringen allerdings nur die Aluminiumschiene und nicht die Farbfüllung. Daher musste ich das Handhaltungen so variieren, dass man einen schrägen Blickwinkel auf die Hände hat.
Selber schuld: hätte ich eigentlich beim Lichttest mal ausprobieren können - Ringe und Handhaltung in Kombination.
Nummer zwei: das Make-up ist sehr dominant und hat auf den Fotos stark von den Ringen abgelenkt. Daher habe ich beim Posieren auf eine großtmögliche Verdeckung des Gesichts mit den Händen geachtet und auch bei der Bildauswahl den Fokus auf "so wenig Gesicht wie möglich" gelegt.
Erschwerend kam hinzu, dass die weiße Schminke trotz Tonnen von Puder sehr schnell glänzte und die schwarzen Zeichnungen aufgrund des Fettanteils in der Schminke rasch an Kontur verloren haben. Selber schuld, wenn man das vorher nicht mal ausprobiert! Schmeiß ich direkt weg, das Zeug.
Ich gebe zu, dass mich die ersten 200 Belichtungen sehr irritiert haben, weil die Wirkung eine andere war als beabsichtigt und die Nachteile der Schminke mir einen ungewollten Zeitdruck verschafft haben. Trotzdem konnte ich das Unwohlsein irgendwie analysieren und einigermaßen umschiffen. Nachträglich bin ich froh, dass ich vorher nicht aufgegeben, sondern alles durchgekliniert und solange fotografiert habe, bis mir wirklich überhaupt nichts mehr eingefallen ist.
Mit dem Ergebnis bin ich jetzt sehr, sehr zufrieden und kann sagen, dass auch im Hinblick auf den Wunsch nach atmosphärischer "Aufladung" die Aufnahmen recht gut geworden sind.
Lass Dich mitnehmen und herzlich grüßen von
Edna Mo