30. September 2018
Networking(*)
Vorweg gilt mein Dank Claudia vom Blog Claudias Welt (*), die dieses tolle Thema für die Ü30Blogger (*) als Aktion vorgeschlagen hat.
Statt von einem Text habe ich mich von Fotos inspirieren lassen.
Das nennt sich dann ein Bildzitat.
Bildzitate sind Nachstellung bereits bestehender Aufnahmen, das ist eine eigene fotografische Herangehensweise und für einen Fotografen immer eine Herausforderung. Im Grunde geht es darum, die ursprüngliche gemachte Aufnahme so gut es geht, zu kopieren, in all ihren Einzelheiten.
In meinem Studium wurde ich das erste Mal mit der Umsetzung eines Bildzitats konfrontiert, da sollte ich eine Portraitaufnahme von Sarah Bernhardt von Nadar nachstellen. Ächz. Einen Tag lang habe ich mein Modell stehend an dieser Säule lehnen lassen und habe mir einen abgebrochen. Das Licht, die Pose, das drapierte Cape. Am Faltenwurf (ein Satin) bin ich dann endgültig gescheitert. Seitdem habe ich höchsten Respekt vor dieser Art der Fotografie.
Ich hatte schon lange die Idee für ein Teddy-Girl-Fotoshooting in Kopf, aber erst mit der Blogaktion im Nacken hatte ich endlich den Antrieb, sie umzusetzen.
Vor zwei Jahren stolperte ich bei Spiegel Online über eine Fotostrecke von Ken Russel zu "Teddy Girls" aus dem Jahre 1954, und da war es spontan um mich geschehen.
Ich konnte mich an den Fotos nicht sattsehen und war erstaunt, warum ausgerechnet diese Fotos mich so nachhaltig fesselten.
Mich hat aber nicht nur der Aspekt der Zeitreise gefesselt, sondern vor allem das Selbstverständnis der jungen Frauen auf den Bildern.
Wie erfindet man für sich Mode, selbst wenn man keinen Zugriff auf modische Kleidung hat?
Wie schafft man es, dabei für damalige Verhältnisse noch ziemlich präsente Bild der überfemininen Frau auf zeitlose Art neu zu definieren?
Auch wenn für zeitgenössische Augen die modische Aussage dieser Bilder wenig spektakulär erscheint. Wo hingegen heute ein millionenfach aus der Maschine gefallenes Shirt mit Glitzer-Applikation als modischer Geniestreich gehandelt wird.
Damals wie heute geht es weniger um Kleidung, als um die Art, wie man etwas trägt. Weg vom Konsumrausch hin zur Individualität zu kommen, zu improvisieren, mit dem was man hat, kreativ und einfallsreich zu sein und sich selber als wertvolles Wesen wahrzunehmen, diese Aussage ist in diesen Bildern zu finden und hat mich auf Anhieb gepackt.
Aber nicht nur ich bin von diesen Aufnahmen fasziniert. Ich habe zum Phänomen der Teddy Girls recherchiert und genau diese Bilderstrecke ist schon hundertfach von anderen Menschen als fotografische Inspirationsquelle genutzt worden. Es gibt -zig zeitgenössische Interpretationen der Teddy Girls, und das Phänomen der Teddy-Girl-Foto-Zitate ist sogar noch viel interessanter als die historischen Aufnahmen.
Was allen gemein ist, ist der Versuch, ein ähnlich städtisch-industriell wirkendes Umfeld als Location zu finden (in der freien Natur gibt es Teddy Girls nicht). Manche Autoren bemühen sich um einen Hauch der Authentizität im Sinne der selbstbewussten Göre, andere deuten die Teddy Girls zu verruchten Schlampen um. Insgesamt kann man erkennen, dass die Kleidung zu schrumpfen scheint, im Vergleich zu damals, wo man sich mit Herrenjeans und Herrenblazern behalf, ist bei den zeitgenössischen Interpretationen der Teddy Girls jede Faser beim Waschen eingelaufen.
Ich musste mich entscheiden, welche Version der Teddy-Girls ich gerne zitieren möchte, und ich habe mich für die authentisch angehauchte entscheiden.
Kleidung zu finden war auch nicht das Problem, mein Fundus ist groß genug, um alles mögliche zu beherbergen, und meine Mann hat mit einer Jeans ausgeholfen, die ich mit einem Gürtel zusammengerafft habe. Da war mir auch klar, warum die Taille in den historischen Aufnahmen nie zu sehen ist - es liegt an den Herrenjeans, die man irgendwie bis unter die Achseln hochzieht und schnüren muss, damit sie am Po anliegt. Die Bundfalten versteckt man besser unter den Blusenzipfeln.
Schwieriger war die Locationsuche. Ob ich als Bewohnerin einer Großstadt einen Vorteil gegenüber von Menschen habe, die in kleinen Ortschaften wohnen, habe ich mich gefragt, als ich kreuz und quer durch mein Viertel geradelt bin, um eine passende Ecke zu finden. Denn das permanente Bestreben, alles schön und neu zu machen, lässt wenig Spielraum für Altertümlichkeiten. Wenn man aber furchtlos Tore aufstößt und in die Hinterhöfe marschiert, findet man ulkigerweise noch so ein paar unschöne Ecken.
Nachdem ich endlich meine Haarpracht zu ansehnlicher Länge hingezüchtet habe, brauche ich für dieses Shooting eine Kurzhaarfrisur. Mit Wellen. Und einer Tolle, einer großen, bitteschön.
Na, toll!
Zum Glück gibt es ja Menschen, die ihre Erfahrungen im Internet teilen, und so habe ich 250 Harnadeln gekauft, mir mit nassen Haaren feine Strähnen zu Schnecken gedreht, alles mit Nadeln festgesteckt und eine extrem quälende Nacht erlebt. Am nächsten Morgen die ganze Konstruktion wieder herauszunehmen, war so herrlich wie der Tag, an dem meine feste Zahnklammer entfernt wurde. Und der Lohn: wunderschöne winzige Pudellocken, eine mächtige, fast afrikanisch anmutende Krause.
Beim Schmuck habe ich mit der Authentizität gebrochen und statt kleiner Ohrstecker und zierlicher Blütenbroschen einige eher plakative Teile aus meiner "schwarzen-Draht-Kollektion" gewählt.
Meine Teddy-Girl-Erfahrung war sehr schön. Ich bin zwar keine 15 mehr, aber noch einmal in die Rolle des ungelenken bzw. unerfahrenes Backfisches zu schlüpfen war spannend. Da die Locations nicht an einem Fleck lagen, waren mein Mann (der sich selbst übertroffen und stets im richtigen Moment ausgelöst hat) und ich über Stunden mit zwei großen Taschen zu Fuß unterwegs und hatten einen abgedrehten Sonntag mit Herumlümmeln auf Hinterhöfen.
Danke dafür!
Besonders der Innenhof einer Autowerkstatt war sehr mystisch, denn über der Autowerkstatt war eine Brieftaubenzucht untergebracht, und die Tauben scharrten und gurrten (ziemlich laut), und er Wind blies feine Blütenpollen vom einzigen Baum im Hof, der nicht der Parkfläche gewichen war. Ich klemmte mit meinen Knien zwischen Wand und einem Porsche, immer bemüht, nicht die Alarmanlage auszulösen. Und es war heiß und ich habe dicke Tropfen geschwitzt. Aber dank dem Realitätsauschluss, der Kameras zu eigen ist, und Puder, sieht man davon fast nichts.
Lass Dich überraschen, welche anderen Inspirationen die Ü30-Bloggerinnen aus Zitaten gewonnen und was Sie daraus gemacht haben. Sich von Zitaten inspirieren zu lassen, und etwas nachzuahmen, ist übrigens nichts verwerfliches. Der Fotograf Hiroshi Sugimoto sagte (so ungefähr) "Die Kopie einer Kopie einer Kopie ist immer etwas Eigenständiges". Andy Warhol fasste es pragmatischer in seiner Aufforderung zusammen "Pick somebody's brain".
Zurück von der Zeitreise grüßt Dich herzlich
Edna Mo