4. Februar 2020
Wenn ich das große Glück habe, für Fotos mit meinem Schmuck ein Model zu finden, (also nicht ich selber), überlege ich mir schon, wie das Foto hinterher sein soll. Damit ist nicht nur Hintergrund / Licht und Styling / Klamotten gemeint.
Über die Abbildung meines handgefertigten Schmucks hinaus steht da eine Person im Rampenlicht, die über die Bildnutzung eine mittelschwere Verbreitung im World Wide Web erfahren wird. Abgesehen davon, dass ich der Person im besten Falle maximal schmeicheln möchte und meinen Schmuck wohlwollend inszeniert wissen will, geht es mir aber auch um den visuellen Subtext.
Sub-what? fragt sich hier möglicherweise meine geneigte Leserschaft. Über die reine Abbildung von Person hinaus vermittelt das Foto einen Eindruck vom Selbstverständnis eines Menschen in der heutigen Zeit. Jedes Foto ist ein Zeugnis eines role models.
Wir sind visuelle Menschen und kucken uns hunderte von Bildern täglich an. Jedes Bild macht etwas mit uns, ob wir wollen oder nicht. Am Ende bestimmt die Summe aller Bilder eines Tages, wie wir die Welt, in der wir leben, und uns als kleiner Mensch darin, wahrnehmen.
Als gewiefte Fotografin sehe ich, dass in der aktuellen Welt das Frauenbild in der Werbung, aber auch in den sozialen Netzwerken, gelinde gesagt rückschrittlich ist. "Je plakativer das Klischee, umso besser wird es geklickt" bringt es eine im Rahmen einer Studie befragte Youtuberin in einem Artikel der Zeit Online auf den Punkt. Im Grunde wird das Medium Fotografie kaum genutzt, um am so oft kritisierten Frauenbild "in den Medien" etwas zu ändern. Jede Bloggerin, Vloggerin, Instagrammerin und Co. hat es selbst in der Hand.
Und da kommt jetzt meine Rolle als Fotografin ins Spiel. Ich gehöre auch zu denen, die über ihre Art der Schmuckfotografie ein Bild der heutigen Frau vermitteln. (Weil primär Frauen Schmuck tragen. Jede andere Geschlechterspezifikation mit Spaß am Schmuck wäre mir auch recht).
Darin liegt eine große Verantwortung.
Ich arbeite gerne bewußt mit Inszenierungen, die die Möglichkeit für komplexen visuellen Subtext liefern. Ob das Foto "authentisch" ist, wie in der Bloggerszene eine Zeitlang gefordert wurde, ist mir an der Stelle ziemlich Wumpe. Eine Fotografie ist per se eine manipulierte Lüge. Dann achte ich doch besser darauf, dass ich eine Lüge verbreite, die langfristig nicht schädlich ist. Oder im besten Fall eine, die in ihrer Wirkung etwas Postives vermittelt.
Man muss sich im Zuge der alseits üblichen Foto-Performances wie "Person räkelt sich", "Person blickt unterwürfig" oder "Person macht Schnütchen" (primär bei jungen Frauen) oder auch "Person lächelt freundlich", "Person gibt sich feminin" und "Person ist aktiv" (primär bei etwas weniger jungen Frauen) schon anstrengen, um bei der geistigen Überflutung solcher Klischees ein eigenes Bild zu finden. Etwas, was weniger eindimensional ist und mehr dem entspricht, was Personen in der Realität ausmacht: viele Facetten.
Mein heutiges Model ist meine Nichte Clarissa, die ich in etwas größeren Zeitabständen regelmäßig vor die Kamera bekomme. An den Fotostrecken mit meinen Nichten kann ich miterleben, wie wir wachsen: sie werden groß und ich werde besser als Fotografin.
Diese Fotostrecke berührt mich und ich bin sehr froh über die Inszenierung und die vielen kleinen Details darin. Sie erinnert mich an die "Kindchen, jetzt lass Mama mal eine Foto von Dir machen, bevor Du zum Abschlussball gehst"-Momente, die wir aus unserer Kindheit kennen.. Dieses etwas ungelenke und leicht unpassende Posieren mit Lippenstift im Taftkleid vor der gutbürgerlichen Wohnzimmerkulisse. (Ich habe ein Foto von mir in der gleichen Situation im alten Dia-Archiv meiner Mutter gefunden, das gibts zur Belohnung als Abschluss).
Aber dann gibt es den Prinzessin-Leia-Moment in dieser Bildgeschichte, in der die Mutter plötzlich realisiert, dass das gehütete Tochterkind erwachsen genug ist, um in die Welt hinauszuziehen.
Sind das schöne Fotos? Auf jeden Fall! Macht die junge Frau auf dem Foto den Eindruck, als wäre sie leicht zu beeinflussen? Wohl kaum. Möchte die junge Frau um jeden Preis gefallen? Das bleibt wohl eher fraglich. Könnte man sich vorstellen, mit dieser jungen Dame einen Abend lang vortrefflich und unterhaltsam zu diskutieren? Garantiert!
Und mehr als den Eindruck, dass die genannten Eigenschaften gute Eigenschaften sind, die man kultivieren und herausstellen sollte, möchte ich mit diesen Fotos gar nicht vermitteln.
Hier noch ein kurzer Einschub zu den Ohrringen, die ich über den flammenden Redeschwall zum aktuellen Frauenbild beinahe vergessen hätte:
Diese zauberhaften Statement-Ohrringe, welche von der Meisterin persönlich in Handarbeit aus Epoxydharz und Aluminiumdraht gefertigt wurden, sind nun in meinem Etsy-Shop verfügbar.
Und hier wie versprochen mein peinlicher Abschlußball-Moment 1985. Links im Foto mein Tanzpartner Schubi, der wegen eines Mopedunfalls dann doch nicht mittanzen konnte (und dabei waren wir ein super Tanzteam zusammen). Ich musste dann vertretungsweise mit dem stocksteifen Holger tanzen, der mich wie ein Buchhalter seinen Aktenkarren pflichtbewußt über die Tanzfläche manövriert hat. Für ihn wie für mich kein besonders schöner Abend.
In Erinnerungen schwelgend grüßt Dich
Edna Mo