3. Februar 2016
Mich springen die Anregungen an jeder Straßenecke an. Beispielsweise: ich krame nichts Böses ahnend in einer Kiste mit Fotos eines Künstlerkollegen und stoße auf einen Stapel historischer Familienaufnahmen, so knapp hundert Jahre alt. Steif gewandete Damen, schwer bepackt mit textilen Verschlingungen ungewohnter Art, lächelten mich an, geisterhafte Echos aus der Vergangenheit, kleine Lichtpunkte verloschener Sterne im dunklen All.
Ich sag euch was: ich bin ja in meinem tiefsten Innerern ein eingefleischter Hosentyp. Einen Kartoffelsack mit Beinöffnungen ziehe ich immer lieber an als irgendwas mit ohne Bein. Ich fühle mich in femininen Kleidern "linkisch", in Hosen bin ich eins mit mir.
Aber dieses versteinerte Herumgestehe auf diesen alten Fotos hat mich dann doch inspiriert, so eine altmodische Szene einmal à la Mo nachzustellen und zu kucken, was passiert. Die Hosen laufen mir nicht weg, aber die eine oder andere verwandlungstechnische Grenzerfahrung tut ja immer gut und hilft, Neues über sich selbst zu erfahren.
Grundzutat war der bodenlange Rock aus schwarzer Wolle mit blauen Nadelstreifen. Anna Lena war so freundlich, mir ihre Spitzenbluse zu leihen, so dass ich wenigstens einmal ein ganz und gar feminines Oberteil auf einem Foto trage. Wundertoll, wie diese runde Schnittführung um Schultern und Hals den Kopf betont (wie auf einer Servierplatte, da sind wir wieder zeitlich knapp nach der Halskrause, die ja optisch eine ähnliche Funktion hatte).
Von den alten Fotos habe ich mir das Stilelement mit dem "Handfüller" abgekuckt. Keine Aufnahme, auf der die Dame nicht ein zartes Blütenzweigelein, einen delikaten Spitzenfächer oder ein kleines Gedichtbändchen umklammert. Ich hatte spontan nur Tannenzweige am Start, was auf den Fotos merkwürdigerweise eine starke Stimmung erzeugt.
Auch das reduzierte Make-up habe ich den alten Vorlage entlehnt, ebenso wie die lange Perlenkette.
Was ich unbedingt einbauen wollte, war das kleine Gürteltäschchen. Auch wenn das Herumschleppen von Dingen am Gürtel in früheren Zeiten sehr stark verbreitet war (Handtaschen gab es noch nicht), gibt es diese Dinge merkwürdigerweise selten auf alten Aufnahmen zu finden. Vielleicht, weil die Hausdame die "Chatelaine" nur in der Ausübung ihrer Pflichten, also zu Hause, trug, wogegen eine Fotoaufnahme ja immer ein nationales Großereigniss war, zu dem nur der feinste Zwirn angelegt wurde.
Was ich von den alten Vorlagen nicht übernommen habe: mein Haar lässt sich unmöglich in einen flauschige Haube verwandeln. Woher Haare nehmen und nicht stehlen? Also dann die Flucht nach vorn und einen strengen Scheitel gezaubert.
Meine Interpretation: man darf die Schuhe sehen. Irgendwelche sehr seltsamen, sehr spitzen Stiefel aus den 90ern. Hab ich die gekauft? Wohl geistig umnachtet gewesen. Und unbequem, das absolute Grauen. (Wie haben die das früher mit dem Sauberkriegen der Rocksäume gemacht? Ich bin mit meinem Rock schon andauernd gestolpert, und da kucken wenigsten die Stiefelspitzen raus).
Und: mein Gürtel ist eine 70-er Jahre Polyester-Krawatte, damit wenigstens irgendwo ein winziges bißchen Muster versteckt ist. Eine kleine optische Stolperfalle, um diesen strengen Look etwas aufzupeppen.
Zwei der alten Fotos findet ihr am Ende des Posts.
Und auch in dieser Fotostrecke sind wieder zwei handgefertigte Edna Mo Erzeugnisse versteckt.
Einmal der Schlüsselanhänger in Form eines Geweihstücks. Der hat in dieser Fotoaufnahme eigentlich überhaupt nichts verloren. Weder historisch noch funktional hat dieses Ding einen Bezug zu dieser Nachstellung. Aber da verhält es sich wie mit der Gürtel-Krawatte: rein formal ist diese kleine ungewöhnliche Form fürs Auge spannend gewählt und auf den ersten Blick gar nicht als "falsch" zu erkennen.
Zweites Edna Mo Stück ist der silbergefasste Bling-Bling-Anhänger, der aus meiner Glitzer-Glamour-Funkeli-Ära und damit aus der Vorzeit meines Daseins als Harzgöttin stammt.
Also, wenn nicht hier, wo soll ich dieses königliche Stück sonst tragen?
Puh, jetzt mal ehrlich: das versteinerte Herumstehen liegt mir überhaupt nicht.
Damals war das den Lichtverhältnissen und der geringen Empfindlichkeit des Fotomaterials geschuldet, dass man sekundenlang ohne Atmen und wackelfrei ausharren musste. Bei Blitzlicht ist das Luft anhalten irgendwie überflüssig und fühlt sich auch verkehrt an.
Bluse: Zara, Rock: Maison Martin Margiela für H& M. Gürteltasche, Perlenkette und Bindegürtel: Flohmarkt, silbergefasster Anhänger und Horn-Replik: Edna Mo
Für die Freunde des künstlichen Lichts: ja, auch hier wurde mit zwei Blitzlampen gearbeitet und es war das erste Mal, dass der Maximalabstand in meinem Zimmer ausgenutzt wurde. Dafür musste das Zimmer zwar nur unwesentlich aus- und umräumt werden, aber was macht man nicht alles für eine Ganzkörperaufnahme!
Wie wurde geleuchtet?
Eine Blitzleuchte mit Softbox steht links, leicht schräg vor mir und ist aus etwas Über-Kopf-Höhe auf mich geneigt. Rechts von mir (im Foto nicht zu sehen) hängt eine bodenlange weiße Stoffbahn, die das Softbox-Licht auf mich reflektiert, so dass auf der rechten Gesichtshälfte kaum Schatten sind.
Nach unten hin sumpft das Licht etwas ab. Die zweite Blitzlampe, ebenfalls links von der Aufnahmesituation positioniert, ist aus Kniehöhe senkrecht auf die Decke gerichtet. Durch das Streulicht werden Bodenfläche, Stiefel und Rocksaum bestens erhellt.
Und hier die beiden Damen, die mich auf diese Idee gebracht haben, längst verblichen, und da gibt es wenigstens eine, die Ihnen noch aus der fernen Zukunft huldigt.
Hochachtungsvollen Dank!
Ergebenst, Ihre Edna Mo