6. Juli 2014
Manchmal kommt es einem so vor, als würde nichts vorangehen. Man steckt fest. Bis zu den Knöcheln in Beton. Wie ein Schnecke mit Holzbein. So geht es mir. Seit Tagen gehe ich ins Atelier zum Schleifen. Eine Stunde, zwei. Gestern vier. Und irgendwie wird es immer mehr statt weniger.
Dieser Betonzustand hat zwei Aspekte. Einmal die schiere Mengenbetrachtung. Ja, ich habe viel gegossen. Das führt nun bekannterweise zu ebensolchem Aufwand an Schleifen. Und ja, ich habe (weil mit dem Ergebnis unzufrieden) auch kurzerhand nochmal bereits "fertig" geschliffene Giesslinge wieder ins Eimerchen geworfen. Und Ja, ich habe auch manche Seite (weil farblich nicht schön) geschliffen, obwohls technisch gesehen nicht hätte sein müssen. Ja, ich bin selber schuld. Jetzt habe ich insgesamt sechs Stunden mit einer Kornstärke geschliffen, und aus dem einen Eimer sind drei geworden. Aus Spaß habe ich mal nachgezählt: ich habe derzeit 181 Einzelteile in Bearbeitung, das sind in der Hauptsache Elemente für drei Ketten und hier und da ein Armreif. Ich habe mich selbst laut gefragt, ob ich denn eigentlich verrückt bin. Zumindest das hat mein Mann mit einem breiten Grinsen und einem "Ja, natürlich" kommentiert. Das wäre also geklärt.
Zweite Betrachtung ist eine ganz andere: wie schafft man sechs Stunden Schleiferei, ohne an totaler Langeweile zu Sterben? Mit dem Schleifen ist es wie mit jeder unliebsamen Tätigkeit, die mit einer heißgeliebten Tätigkeit einhergeht. Garten buddeln ist toll, jäten nicht. Cabrio fahren ist toll, im Stau stehen ätzt. Kino ist großartig, aber die Kids in der letzetn Reihe, die mit Popcorn werfen, könnte man glatt erschießen. Das ist so, weil das Leben so ist. Die eigentliche Frage ist, wie man das aushält, das ewige, endlose, nicht aufhören wollende Schleifen, das nervige Jäten, die qengelnden Kids. Das mentale Überbrücken von Situationen, die man eben nicht gut aushalten kann.
Meine persönliche Krücke für dieses endlose Schleifen (und es werden noch etliche Stunden folgen) ist diese: Lege eine alte Platte aus deiner Jugend auf, dreh die Lautsärke hoch und singe. Wenn die Platte aus deiner Jugend stammt, hat die nun mal den Vorteil, dass man jede Zeile auswendig kann. Und der Geist kann prima in die Vergangeheit wandern. Mein Favorit ist neben der deutschen Version des Musicals "Hair" die erste Platte von Nina Hagen (hier der Youtube Link aufs Konzert). Meine Güte, das muss man sich mal vorstellen. 1968 war ich noch nicht mal gezeugt und 1978 hatte ich sogar meine Zahnspange noch vor mir. Hätte mir mal damals einer gesagt, dass das alles wahr ist, was da besungen und getextet wurde. Dann wäre ich vielleicht nicht so ein Spätzünder geworden. Dafür kann ich jetzt (selbstverständlich total falsch, weil ich kann überhaupt nicht singen) so wunderbare Zeilen schmettern wie "Ich bin ein Farbiger, ein Ekel, ein schwarzer Niemand ..." oder "Das ist ein Superboy, der macht dich glühhhhcklich..." und mich prächtig wohl dabei fühlen. Für die nächste Session werde ich mal Paco de Lucia aus dem Regal ziehen. Da ist eine schöne Erinnerung an meine Mama drangeknüpft, die mich damals fragte "ob die da auf der Platte Katzen quälen". Da kann ich zwar wegen des spanischen Gejammers nicht mitsingen, aber ordentlich im Takt auf den Boden stampfen, und das ist ja mindestens genauso gut. Merkt ihr was - ich freu mich jetzt sogar schon aufs nächste Schleifen!