17. Mai 2018
Die Natur dieses speziellen Blogs liegt darin, dass die Neu-Entstehung von Dingen mitverfolgt wird oder neue Dinge in voller Pracht und Herrlichkeit gezeigt werden. Zwar geht es zwischendurch auch mal unordentlich oder harzbedingt schmuddelig zu, aber am Ende ist alles schön und makellos und perfekt.
Das Leben ist aber dummerweise weder schön oder makellos noch perfekt. Deswegen ist dieser Blog - bis auf wenige Ausnahmen - von vorne bis hinten Fiktion, ein inszeniertes Konstrukt, immer nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus der "echten" Realität. Dieser Ausschnitt hat durchaus seine Berechtigung, sofern man in der Lage ist, Realität und Fiktion als solche zu erkennen und zu nehmen, als das, was es ist.
Da es demnächst hier wieder ungeheuer makellos zugehen wird, muss ich diesen Post schnell noch einmal als kleines emotionales Aufschnaufen einschieben.
Wenn ich das, was ich einmal produziert habe, nach Jahren wieder in die Hände bekomme und erleben darf, wie der Zahn der Zeit daran genagt hat, finde ich das natürlich besonders interessant. Wie langlebig sind meine Erzeugnisse denn?
Denn schön und makellos und perfekt sind die Dinge nur, wenn man sie neu kauft und bleiben es nur, wenn man sie konsequent nicht benutzt. Durch Benutzung erfahren materielle Dinge Veränderung, Abnutzung, Gebrauchsspuren bis hin zum Zerfall. Vergänglichkeit. Und genau das soll heute mein Thema sein.
Dieses Schlüsselband ist eines meiner Upcycling-Projekte, bei dem ich aus den Tiefen meiner Stoffkisten geschöpft und aus vielen Stoffschnipseln schmale, lange Halsschleifen oder eben auch Schlüsselbänder im Patchworkstil hergestellt habe.
Zu dieser Zeit habe ich sehr viel mit Krawattenseiden gearbeitet, diese haben mit ihren kleinteiligen Mustern und feinem Glanz dem gemeinhin vorrangig funktionalen Schlüsselband einen edlen Touch verliehen.
Dass besonders die Seiden für ein Dasein als Schlüsselband gänzlich ungeeignet sind, musste ich leider schmerzlich erfahren. Meine Erstlingsstücke wurden durchweg von begeisterten Menschen benutzt, die mit großem Bedauern von Auflösungszuständen ihres geliebten Schlüsselbands berichteten (Halbwertszeit. ca. zwei Jahre).
Bernadette konnte mit ihren eigenen Fähigkeiten an der Nadel das Ableben durch mehrere Notfallnaht-Operationen und Stoffschnipsel-Transplantationen ein wenig verzögern, meldete aber dann endgültig nach vier Jahren den Bedarf nach einem neuen Band an, bitte in blau und grün.
Im Austausch gegen ein Neues durfte ich das Reliquienstück wenigstens für eine Fotostrecke wieder an mich nehmen (ich muss es aber wieder zurückgeben!). Und kann im Detail einmal dokumentieren, welche Stoffsorten durchgehalten haben und welche nicht.
Fakt ist: Seide löst sich trotz Hinterlegung mit Vlieseline bei großer manueller Beanspruchung einfach in Nichts auf.
"Harte" Polyesterstoffe wie dieser in glänzendem Flaschengrün haben - abgesehen von der Farbveränderung - bemerkenswert gut ihre Funktionalität behalten. Hier sieht man diverse zusätzliche Nähte von Bernadette.
Bei den dünnen Baumwollstoffen haben sich die Nähte aufgelöst.
Gerade die hellen Muster haben durchweg einen Wechsel ins Bräunliche vollzogen.
Als ich Bernadette mitteilte, dass man das Schlüsselband auch von Hand waschen könnte, wenn man denn wollte, war sie einigermaßen verdutzt: "Man wäscht doch kein Schlüsselband!".
Dieser "weiche", türkisfarbene Polyesterstoff hat zwar seine Form einigermaßen behalten, aber an der Oberfläche ein massives "Pilling" entwickelt.
Die weiche hellgrüne Seide ist samt Vlieseline einfach weg, verschwunden, futschikato, da ist gerade mal ein dünner Streifen Nahtzugabe erhalten geblieben.
Die dünne Wolle links und der Hemdenstoff aus Baumwolle rechts haben hingegen (bis auf Nahtbruch) einigermaßen durchgehalten.
Mir ist das Phänomen, dass nicht alle Stoffe für ein Schlüsselband geeignet sind, seit längerer Zeit bekannt. Seitdem muss ich notgedrungen auf die edleren Stöffchen verzichten, und mixe meine abgefuckten Jeans mit Bett- und Tischwäsche aus dicker Baumwolle und Leinen.
Aus einem dünnen Schlüsselband wird dann direkt ein stabiler Gurt, mit dem sich getrost aufängen könnte, wenn man denn wollte (hallöchen, das ist ein Jux!!!), und der in der Handtasche gleich einen Klumpen Platz beansprucht (bei mir steckt der Schlüssel in der Hosentasche, und das Band flattert hinter mr her).
Bei den stabilen Stoffen schöne Farben und Muster zu finden, ist ungleich schwieriger. Zwischendurch habe ich dann auch nur zwei Stoffe gedoppelt, aber ich finde die Patchwork-Version mit verschiedenen Mustern und Farben vieeeeeeel schöner.
Wer ein bißchen Lust hat, sich nähtechnisch inspirieren zu lassen: hier die DIY-Anleitung für die Herstellung eines Upcycling-Schlüsselbandes.
Das Patchwork ist dabei eigentlich gar nicht das besondere, sondern die Einfassung aus Leder, die sehr langlebig ist und von mir auch immer noch genau so umgesetzt wird (sehr zum Leidwesen meiner Nähmaschine).
Bin ich nun geknickt, weil sich mein schönes Schlüsselband-Konzept sprichwörtlich in Nichts aufgelöst hat?
Auf keinen Fall!
Mich bewegt eher die Faszination, wie sich der Kreislauf des Lebens selbst in den kleinsten Dingen spiegelt. Meine intensive Betrachtung ist der Versuch zu verstehen, dass auch ich nicht endlos bin, obwohl es mir in manchen Momenten anders vorkommt und mein Verstand oft etwas anderes behauptet.
Adieu, Du tapferes Schlüsselband!
Gute Dienste hast Du geleistet.
Melancholische Grüße sendet Dir
Edna Mo
PS: Mehr vorrangig stoffliche Weiterverarbeitungs-Ideen findest Du in meiner Rubrik "Upcycling"