9. April 2019
Neulich war ich berufsbedingt bei einer Fortbildung zu "Design Thinking". Das ist eine Methode, die Probleme lösen und zur Entwicklung neuer Ideen führen soll. Man nutzt sie, um beispielsweise gezielt neue Pordukte oder Dienstleistungen zu erfinden. Das Schöne ist: die Wünsche der NutzerInnen stehen dabei im Vordergrund.
Der Prozess selber findet in einem mehrköpfigen Team statt, wo man hin- und herdiskutiert, bergeweise Post-its in verschiedener Reihenfolge an Wände und Fenster geheftet werden und man sich mit kleinen Zeichnungen behilft, um komplexe Situationen zu veranschaulichen.
War also genau mein Ding!
Natürlich habe ich während des Workshops parallel mit ein, zwei Gehirnzellen überlegt, wie mich diese Methode in meiner Kunstharzerei weiterbringen könnte. Eins war mir aber sofort klar: meine Schmuck-Designentwicklung richte ich nicht an Kundenwünschen aus. Sonst wäre das Ergebnis nicht mehr Edna Mo, sondern etwas, was es höchstwahrscheinlich schon gibt, aber nur ein Bruchteil kostet. Aber bei der Kaufabwicklung und allem, was bei der Kundin passiert, wenn sie meinen Schmuck erhält, da kann ich nachdenken, wie das besser geht.
Als ein Trigger für Zufriedenheit beim Nutzer wird im Design Thinking Prozess der "pleasure point" benannt. Das ist frei übersetzt ein Glücksmoment, in dem der Nutzer hochzufrieden ist. Das Schöne an Glücksmomenten ist, dass sie nachhaltig wirken. Selbst wenn andere Faktoren wie ein hoher Preis oder lange Wartezeiten das Käuferglück beeinträchtigen - wenn das Produkt selber dann umso überwältigender ist, spielt das in der Rückschau ulkigerweise keine Rolle mehr. Den Moment "Positives überwiegt Negatives" macht sich die Design-Thinking-Methode also zu Nutze. Das geht doch auch bestimmt bei Edna Mo. Denn ich bin auch nur ein Mensch - selbst wenn ich denke, dass Preis und Endergebnis so und nicht anders sein müssen, und ich lieber heute schnell als mit einem Tag Verspätung eine Lieferung auf die Post bringe, ist das leider nur - meine Sicht.
Jetzt bin ich erst mal ein pragmatischer Typ. Anders als andere Online-Shops habe ich keine eigens gekauften Kistchen, Kästen und Verpackungshüllen und speziell dafür vorgesehenes kuschelweiches Seidenpapier zum Einschlagen. In meiner Wahrnehmung wird jedwede Verpackung einfach weggeschmissen, sofern sie nicht sinnstiftend ist, und fast nie aufgehoben und wiederverwendet.
Da wir in Zeiten der Überproduktion in Müllbergen ersticken, möchte ich mit meinem Online-Shop nicht über das Notwendigste hinaus dazu beitragen, dass zusätzlich Verpackungs-Müll in Umlauf kommt. Daher benutze ich Versandkartons von Artikeln, die ich von meinen Bestellung bei anderen Anbietern bekommen habe, ebenso das Packpapier zum Einschlagen und Polstern. Oft krieche ich auch kopfüber in die hauseigene Altpapiertonnen und fische Versandhüllen und Packpapier heraus, die meine Nachbarn weggeschmissen haben. Das erfordert neben totaler Schmerzfreiheit außerdem Platz zum Einlagern, ist dafür aber umwelt- und kostenfreundlich (in erster Linien für den Kunden) und reduziert überdies meine persönliche Versandgeschäft-Verpackungsmüll-Bilanz um 50 %. Hach, was bin ich doch für ein guter Mensch!!!
Allerdings, bei allem Pragmatismus: wo bleibt da der pleasure point?
Erschwerend kommt hinzu, dass ich oft ziemlich merkwürdigen Schmuck mache, der sich nicht "einfach so" verschicken lässt. Wird die Kette mit Edelstahldraht konfektioniert, gibt es Einschränkungen in der Beweglichkeit einer Kette, so dass man sie nicht ohne den Draht zu knicken in einen Beutel stecken und diesen in einer Kiste verschicken kann.
Nun gilt es auf gar keinen Fall einen "pain point" (also der Augenblick des Grauens, wenn die Sendung deformiert oder kaputt aus der Verpackung kommt) bei der Kundin zu produzieren. Daher sollte die Kette also so verpackt werden, dass sie einen Versand problemlos übersteht, in ihrer vollen Pracht eintrifft und im besten Fall bei der Kundin auch unproblematisch gelagert werden kann.
Womit wir endlich zur heutigen Fotostrecke kommen. Es hat sich tatsächlich eine Käuferin für meine wunderschöne Kunstharz-Kragenkette gefunden. Welcher Teufel hat mich nur bei dieser Kette geritten? Dieses architektonische Ding kundenfreundlich zu verpacken, hat mich ganze zwei Tage in den Ausnahmezustand versetzt.
Vor der Fortbildung hätte ich das Ding einfach in Seidenpapier eingewickelt und diese Papierwurst zusammengerollt mit weiterem Papier in einen Karton gezwängt. Nach der Fortbildung habe ich kurz die Bremse eingeworfen und mir eine kleine Auszeit genommen, um mir den Moment des Auspackens bei dieser Kette aus Kundinnensicht vorzustellen: ein kettenähnliches, aber merkwürdig steif und verwinkeltes Ding, umweht von geknäultem Papier als hätte man eine Klorolle abgewickelt.
Gerade bei Ketten, die etwas komplizierter von der Machart sind, ist es aber sinnvoll, sie beim Auspacken so zu sehen, wie sie am Ende am Hals liegen. Nun ist die Kragenkette weder einfach zu handhaben und außerdem nicht günstig, also gleich zwei "pain points". Da sollte wohl besser ein gigantischer pleasure point nachfolgen, um das auszugleichen.
Statt der Recycling-Papierwülste habe ich mich dann für ein Etui aus Filz entschieden, dass ich auf die Größe des Versandkartons maßgenschneidert und mit der Nähmaschine zusammengenadelt habe. Mit kleinen Riegeln und Klettpunkten wird die Kette in Ihrer Form fixiert und kann nicht geknickt werden. Und nicht nur für die Versandsicherheit ist gesorgt: im Etui lässt sich die Kette auch flach liegend lagern, die beste Aufbewahrungsmethode.
Zwei Tage, 25 Hitzeattacken und zwei Maschinennadeln später. Meine Kette ist verschickt. Wenn ich mir überlege, welche Preise man ausloben sollte für so ein Unikat-Schmuckstück nebst pleasure point-Nachbereitung....aber das ist wohl ein anderes Thema. Insgesamt möchte ich bei meinen zukünftigen Versendungen darauf achten, dass mein Wunsch nach Nachhaltigkeit und das Herauskitzeln des pleasure point bei meinen Kundinnen irgendwie unter einen Hut zu bringen sind. Aber zum Glück habe ich auch manchmal ganz einfach zu verschickende Dinge, und geknülltes Papier ist auch oft nicht die schlechteste Lösung.
Einen kleinen Schmunzler muss ich noch loswerden: meine Fortbildung war in Thüringen, und beim Aufsuchen einer lokalen Gastronomie ist mir "Klaus, der Kloß", das regionale Gourmet-Prachtstück als Plüschversion live begegnet. Ich musste mich schon sehr zusammenreißen, denn mein kindliches Gemüt hat lautstark danach verlangt, den kuscheligen Kloß mit dem soften Schlafzimmerblick nach Hause zu nehmen. Aber nein, noch mehr Stofftiere sind nicht die Lösung.
Aber ich kann jedem mit etwas abseitig gelagertem Gemüt mit besten Empfehlungen die Webseite www.klaus.derkloss.de ans Herz legen. Der offensichtlich lokale Humor hat mich dann doch über die "Na*i-Kiez"-Aufkleber hinweggetröstet, die rund um mein Hotel an sämtlichen Laternenmasten plakatiert waren. So nah liegen pleasure und pain point eben beieinander!
Klossige Kollossale Grüße schickt Dir
Edna Mo