19. Mai 2016
Wie ist das, ein Projekt in Angriff zu nehmen, das für einen neu und und eine echte Herausforderung ist?
Wie komme ich dazu, ein Buch zu machen und mich auf so ein Abenteuer einzulassen?
Nachdem ich im letzten Eintrag mehr die logistische und organisatorische Seite beleuchtet habe, soll es in diesem Eintrag mehr um die damit verbunden Innensicht gehen.
Zwar finden sich auf meinem Blog bereits Anleitungen und Projekterklärungen, insofern sollte es eigentlich nicht besonders abenteuerlich sein, "das Gleiche", nur eben als Buch, zu machen.
Ist es aber schon.
Wenn ich auf dem Blog sowohl zeitlich als auch inhaltlich frei bin, so gilt dies auf keinen Fall für das Harzen und Fotografieren mit Deadline und unter Vorgaben.
Glücklicherweise habe ich einen bürgerlichen Beruf und muss mit Harzen nicht mein Geld verdienen. Künstlerisch macht mich das frei, nicht auf den Cent kucken zu müssen.
Aber so ein Buch verschlingt Zeit.
Viel Zeit.
Vor allem, wenn man es gut machen möchte.
Mir war im Vorfeld klar, dass die Zeit für das Buch nur durch einen konsequenten Verzicht auf Freizeit eingetauscht werden kann. Natürlich ist es auch eine Form von Freizeit, ein Buch zu machen, aber das ist dummerweise auch mit viel Arbeit verbunden. Ergo: kein Faulenzen, keine gemütlichen Fernsehabende, kein Sport, kein soziales Leben, kaum Bloggen, minimale Partnerschaft und keine Zeit für mich. Ich war schon gespannt, was das mit mir macht. Und wie sich so eine freiwillige Reduzierung auf bestimmte Tätigkeiten sich auf den kreativen Output auswirkt.
Zwischendurch habe ich mich auch wie ein Legehuhn gefühlt: in Räumen eingesperrt von morgens bis abends und keine Abwechslung. Tagsüber Büro, im Bus nach Hause, Arbeitsklamotten an und ab in den Keller. Um 23 Uhr ins Bett und morgens klingelt um 5 Uhr der Wecker.
Nur noch ein Minimum an Schlaf und als einziger Ausgleichssport "Turnen auf der Leiter", "Kriechen am Boden" und "Einarmiges Stemmen einer 2,5 kg Kamera". Dabei sind auch viele (leider nur im Nachhinein) urkomische Sachen passiert. Ich bin einmal so schwungvoll auf die Leiter gesprungen, dass ich mitsamt derselben umgefallen bin, die Kamera habe ich dabei zum Glück nicht fallenlassen. Beim Versuch, ein Holzobjekt von einem Sockelstab zu ziehen, habe ich mich mit dem Holzobjekt selbst KO geschlagen. Versehentlich hat mein Gesäß einmal meine Brille geküsst, die Ärmste war vor lauter Inbrunst völlig verbogen. Außerdem habe ich mich mehrfach mit den Dämpfen von Universal-Verdünnung derart vergiftet, dass ich zähneklappernd in der Ecke lag, bis ich wieder klar denken konnte (dann wird einem eiskalt und man wird unsäglich müde). Beispielsweise als ich versucht habe, den Plastik-Teppich von meinem Bügeleisen zu trennen, als dieses beim Bügeln auf einen Fluchtversuch unternommen hat und auf Stufe drei (natürlich mit der glühenden Seite unten) über dem Boden rutschte.
Ich gehe nun auf die Fünfzig zu. Da möchte man auch gerne, viel mehr als früher, ausruhen können. Immer weniger zu schlafen als der Körper möchte, ist auf Dauer nicht so schön. Immer ist einem kalt, immer hat man Hunger. Notgedrungen habe ich Essen in mich reingestopft. Wer kaut, kann nicht schlafen, und so habe ich in meinen nächtlichen Kellerstunden (neben den unsäglichen Harz-Überschwemmungen, die ich produziert habe) auch eine stete Brotkrumenspur von Reiswaffeln hinter mir hergezogen.
Meiner Psyche hat es nicht besonders gutgetan, mich über Wochen und Monate zerschlagen, mopsig und unschön zu fühlen, aber für eine bestimmte Zeit kann man das schon irgendwie aushalten. Man darf nur nicht den Fehler machen, das Ende aus den Augen zu verlieren und die Tatsache, dass es eben nur eine Phase ist und nicht für immer. Das kann man zwischendurch vergessen und dann schlägt die Psyche wirklich unbarmherzig zu. Ein paar schlimme Momente gab es durchaus in diesem Zusammenhang, auch mit Mister Mo. Da er selber Künstler ist, konnte er meinen "Buch-Zustand" noch besser nachvollziehen als manch anderer. Aber locker wegstecken kann dein Partner das nicht, wenn du (wenn auch freiwillig) in so einem absurden Zustand feststeckst.
Eine Herausforderung waren aber dann die Fotos für das Buch, auf denen ich selber zu sehen bin. Mich zu motivieren, mein zerschundenes Selbst in Fotoform zu bringen, hat wenigstens drei Wochen inneres Ringen mit dem Schweinehund verlangt. Aber es war komischerweise eine Wohltat, sich hübsch zu machen und in schöne Kleidung zu schlüpfen.
Die hier gezeigten Bilder sind einige unbearbeitete Outtakes aus den Portait-Shots für das Buch. Wohlgemerkt: war das Bild im Kasten, kam das Make-up runter, die Arbeitsklamotten wieder rauf und weiter gings.
Das hat mich komischerweise am meisten überrascht: das man trotz ungünstiger Umstände noch wie ein Wasserfall kreativen Output erzeugen kann. Ja, es ist schon schwer, mit verklebten Augen und schweren Gliedern in den muffeligen Arbeitsklamotten anzutreten. Aber es ist immer das Gleiche: erst denkst du, du kriegst heute einfach überhaupt nix gebacken. Und dann fängt man irgendwo an und eine Stunde später ist man völlig eingesaugt und kann nicht mehr aufhören. Ein Glück muss Harz zwischdurch härten, sonst wäre ich wahrscheinlich gar nicht zum Schlafen gekommen. Und Ja, an manchen Projekten habe ich mir die Zähne ausgebissen und drei oder vier oder sieben Ansätze versucht, um zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen. Aber am Ende hat alles - bis auf ein Projekt - feinst hingehauen. Selbst bei den Projekten ohne Wiederholungschance. Auf die Ergebnisse bin ich stolz wie bolle, soviel steht fest.
Harz-Handwerklich war dieses Buch meine persönlich größte Fortbildungsmaßnahme. Mannomann, hab ich mir Wissen und Erfahrung in dieser Zeit angeeigent. Ich weiß nicht, wieviele Kilogramm Harz am Ende verarbeitet wurden, aber die Pakete aus Frankreich kamen unermüdlich und mit dem Lieferant von GLS bin ich schon per Du. Harz ist nicht so günstig, und Ideen zu realisieren, wo man im Vorfeld ermittelt, dass man nur für eins von 30 Projekten ungefähr drei Kilo braucht und das dann auch einfach zu machen, ist schon absolut irre. Wie Schlaraffenland für Naschkatzen.
Emotionaler Punkt vier:
Dieser Zustand hat mich am meistens fasziniert. der Tunnelblick, der einen für alles andere im Leben unempfänglich macht. Das hat mich fast schon an einen drogenähnlichen Zustand erinnert. Termine und Ereignisse zogen irgendwo in weiter Ferne vorbei, während mein Kopf bis zum letzten Winkel mit meinem Gedankenkarussel ausgefüllt war. Ich habe kein Stück am normalen Leben teilgenommen, das ist auf der einen Seite wahnsinnig befreiend, macht einen aber auch zum totalen Autisten.
Zum Ende hin, als klar wurde, dass es nach Monaten doch auf ein Ende zugeht, wurde das sogar noch schlimmer. Fertig werden, ich wollte nur noch fertig werden. Jede Sekunde habe ich genutzt und fieberhaft und wie ferngesteuert die letzten Projekte bearbeitet. Und als dann klar war, dass tatsächlich das letzte Foto im Kasten ist, war das ein absolut köstlicher Moment. Diese Fokussierung zuzulassen, aber auch wieder verlassen zu können, war emotional die spannendste Erfahrung.
Das Ende
Und tatsächlich: die Fotoarbeiten am Buch sind jetzt abgeschlossen. Die Bildbearbeitung läuft noch, aber bis Ende Mai werde ich das schaffen, dann ist Abgabetermin.
Das Buch: über 30 Schmuck- und Deko-Projekte aus Giessharz. Start im Dezember 2015. Einen Monat Konzeptfindung, einen Monat Beschaffung, dreieinhalb Monate Umsetzung mit Harzen, Fotografieren und Text, einen halben Monat Bildbearbeitung. Und plötzlich ist ein halbes Jahr von meinem Leben weg. Aus freien Stücken. Erscheinen wird das Buch Anfang 2017.
Ich habe mein Baby jetzt in die Welt gesetzt. Die Schwangerschaft war zäh und die Geburt ein Kraftakt, aber jetzt geht es hinaus in die Welt, und ich bin wieder frei.
Und als erstes: ein Glas Sekt, ein Sonnenuntergang - ich habe bestimmt drei Stunden ohne zu Blinzeln auf den Himmel gestarrt. So schön war der.
Edna Mo ist zurück!