1. April 2020
In Sachen Meinungsbildung "Was tun bei Corona" habe ich mich im Blog bislang zurückgehalten. Ich bin nicht so der panische Typ und verglichen mit anderen Menschen bin ich durch die momentane Kontaktsperre glücklicherweise nicht existentiell bedroht und komme außerdem mit Isolation gut zurecht.
Nachdem sich jetzt aber abzeichnet, dass wegen zunehmenden Einschränkungen beim Versand auch die Shop-Tätigkeiten zum Erliegen kommen werden, ist es derzeit kontraindiziert, für meinen neuen Schmuck zu werben. Zumal ich selbst gut nachvollziehen kann, dass sich die Werte zwangsläufig verschieben, Klopapier ist das neue Gold und Schmuck ist rein funktional zu absolut nichts zu gebrauchen.
Warum sich überdies rausputzen, wenn man es sich zu Hause im Jogger bequem machen kann?
Glaubst Du etwa, ich laufe nicht seit Wochen in derselben Kluft herum?
Die traumschönen Fotos meiner Nichte, die auf Attraktivste Edna-Mo-Kreolen im Lepoardenmuster präsentiert, nutze ich daher nicht, um auf die Kaufmöglichkeit ebendiesen handgefertigten Ohrschmucks hinzuweisen. Ich nutze die Fotos, um darauf hinzuweisen, dass ich gerade sehr glücklich damit bin, so eine verzehrende Leidenschaft wie das Anfertigen von Kunstharz-Schmuck zu haben. Ein Mensch ohne Betätigung neigt zu Grübelei und Irrsinn. Und da mancherorts die Beschäftigung gegen Null geht, ist man ohne Hobby sehr viel stärker mit Ängsten und Sorgen konfrontiert. Abwechslung tut gut. Ein Hobby ist die Flucht vor der Realität, die niemandem schadet, und daher sollte man sich in diesen Zeiten mit so vielen, möglichst gehirnintensivierenden Hobbys wie möglich umgeben.
Eins meiner neuen Hobbys ist das Anstehen. Sonst bin ich zielstrebig unterwegs, mein Schritt ist bestimmt und zügig, ich schlängele mich gerne wie ein Aal durch Menschenmengen und kann mich im Supermarkt wie ein Ninja seitlich ans Gemüseregal anschleichen und blitzschnell und fast unbemerkt einen Salatkopf packen. Diese zweifelsohne der zeitoptimierten Verrichtung von Notwendigkeiten geschuldete Einkaufsmethode musste ich restlos aufgeben. In der Schlange zu stehen, hat immense Vorteile. Nur so kann man sich neben den Medien über die echte Gemütslage der Menschen informieren und - noch wichtiger - den aktuellen Versorgungsfunk aufschnappen. Neulich habe ich mich einfach mal so bei Kodi in die Schlange gestellt. Und tatsächlich konnte ich dank der hinter vorgehaltenen Händen leise weitergewisperten Nachricht, dass "der Laster jetzt auslädt" und weiteren 25 Minuten Ausharren in der Kälte in den stolzen Besitz einer ganzen Packung Klopapier kommen.
Mein zweites Hobby ist das Sammeln von Dos und Dont's.
Das erbeutete Klopapier darf man nämlich unmöglich einfach unter den Arm geklemmt nach Hause trage. Man hört vermeintlich von sich zusammenrottenden Banden, die Küchenrollen im Supermarkt aus Einkaufswagen stehlen und wehrlose Menschen wegen einer Packung Klopapier auf offener Straße niederringen. Daher sollte man zum Transport derart wichtiger Güter eine unschuldig wirkende und ablenkende Umverpackung wählen. Einen unförmigen Schmutzwäschebeutel, aus dem noch ein angeschnuddeltes Strumpfhosenbein rausbaumelt, beispielsweise. Oder eine edel mit Goldlettern bedruckte Chanel-Papier-Tragetasche mit Satin-Trageschlaufen. Darin vermutet wirklich keiner so ein edles Zeug wie Hygeniewaren.
Sicherlich wird Klopapier in den nächsten Tagen als Währung anerkannt. Neulich brachte mir ein Mitarbeiter eines Versenders mangels Paketzustellung die bestellte Ware persönlich nach Hause. Als ich meinen Mann fragt, ob ich lieber eine Klorolle oder 10 Euro als Trinkgeld parat legen sollte, war er sehr brüskiert. "Geb bloß das verdammt Geld weg", war sein Ausruf, "davon gibts genug auf der Bank. Klopapier ist viel schwerer zu bekommen!"
Mein liebstes modisches Fundstück war eine schwer aufgedonnerte ältere Dame, die in der Straßenbahn unterwegs war. Passend zur Stretchjeans (blau) und hochhackigen Steifeln (schwarz) trug sie eine feuerrote Schößchenjacke, ein monströses rotes Brillengestell und ebensolchen Lippenstift. Der Clou waren fingerlose rote Lederhandschuhe im Rallye-Stil und - ja, richtig gemacht - Vinylhandschuhen darunter.
Toll ist auch der neue Dresscode bei Online-Konferenzen und Skype-Unterhaltungen. Da reicht es nämlich, sich den Blazer über den Pyjama zu ziehen und den Pony zu glätten. Dass man unter dem Tisch Löcher in den Socken und am Hinterkopf diese platte Stelle im Haar hat, wo morgens der Kamm nicht hinkam, interessiert dann keinen mehr. Wenn man den Fernseher direkt hinter den Laptop-Monitor postiert, kann man währen der Online-Sitzung auch mit hochkonzentriertem Blick nebenher eine Sportübertragungen genießen. Ich empfehle den Ton dann im Vorfeld abzudrehen und bei nicht unterdrückbaren Jubelrufen ein Husten (bitte korrekt in die Armbeuge) vorzutäuschen.
Diese tolle weibliche Person trägt handgefertigte Leo-Kreolen aus marmoriertem Epoxidharz von Edna Mo
Aber Apropos Arbeit: Arbeit ist das neue Wochenende. Seitens meines Arbeitgebers habe ich die Möglichkeit, vom Homeoffice aus zu arbeiten. Ab und zu gehe ich jedoch ins Büro, wenn ich bestimmte Unterlagen brauche. Auch wenn bei Gesprächen mit Kollegen der zwei-Meter-Abstand peinlich eingehalten wird: selten bin ich so aufgekratzt aus dem Büro gekommen wie die Tage. Ist ja auch kein Wunder. Statt nur eine einzige Person (meinen Mann) sehe ich innerhalb von 8 Stunden bis zu sechs verschiedene Personen und kann persönlich mit ihnen plaudern. Für mich ist das ja fast ein social overkill, fast wie Rausgehen am Wochenende, nur im Büro. Einmal die Woche macht das total gute Laune, mal raus aus dem zu-Hause-im-Jogger-schlumpfen-Trott, eine abenteuerliche Anreise, viel Abwechslung, das Gehirn durchpusten lassen.
Danach kann man das zu-Hause-im-Jogger-schlumpfen wieder hemmungslos genießen. Also so dosiert ist Arbeit fast Hobby-verdächtig.
Das Leben als Harzkünstler in Zeiten des Kontaktverbots hat auch seine schwierigen Seiten. Der Versorgungsnachschub vieler Hilfsmittel ist unterbrochen. Nitril- oder Vinylhandschuhe verbrauche ich sonst wie Atemluft. Nun ist es aber unmöglich, welche zu bekommen. Heißt: mit einem Paar wird solange geharzt, bis es wirklich nicht mehr geht. Küchenkrepp ist sonst mein Allzweck-Reinigungsmittel, um Werkzeuge zu trocknen und Harznasen abzuwischen. Ich bin auf Taschentücher ausgewichen, da diese noch ab und zu erhältlich sind, Küchenkrepp hingegen Mangelware ist. Über Nachschub an Kunstharz will ich gar nicht reden. Täglich fallen die Pegel in meinen Flaschen. Da viele Kurierdienste die Sendungen lieber viermal zum Lieferant zurückschicken, als klar zu kommunizieren, dass es für bestimmte Routen derzeit keine Fahrer gibt, werden jetzt auch die letzten Reserven angebrochen. Frag mich in zwei Wochen nochmal, was ein Harzkünstler ohne Kunstharz macht, und vielleicht sind mir bis dahin noch ein paar mehr Hobbys eingefallen.
Ursprünglich wollte ich diese von mir fotografierte Strecke auch nutzen, um erneut über das mediale Frauenbild zu sinnieren, wie dass die Menschheit mehr tolle Fotos von starken weiblichen Persönlichkeiten mit einer individuellen Ausstrahlung vertragen kann. Wie eben meine Nichte, die sich für meine Shooting-Gelüste zur Verfügung gestellt hat. Bussi und Danke, Du Traumfrau!
Nachdem die Online-Community unisono nach der unreflektierten Anbetung des Konsumgottes nun in das gegenteilige Horn bläst "weil Geld ja gar nicht soooooo wichtig" ist und sich wieder ganz einheitlich im Schlabber-T-Shirt und ungeschminkt präsentiert, kann ich meine geplante Aussage eigentlich nur mit noch mehr Nachdruck betonen. "Alles ist Pop, auch Jesus am Pflock", singt René Marik so treffend, und Corona ist eben der neue heiße Scheiß.
Da hilft nur: cool, bei anderen auf Abstand und auf jeden Fall Dir selber treu bleiben.
Das Leben hat noch so manches Abenteuer für uns in petto,
und das hier ist noch längst nicht alles,
vermutet Deine Edna Mo