1. Oktober 2019
Eigentlich wollte ich ja nur eine Jacke mit weiten Ärmeln. Weil nämlich das Tragen von langen Ärmeln mit Gipsarm schier unmöglich ist. Da muss der Ärmel schon kimonomäßige Ausmaße haben. Die Jacke war Online zwar flugs gefunden, aber dann zu groß. Im Tausch habe ich mich für eine lustige Hose entschieden. Die war mir dann auch etwas zu groß. Da aber Mister Mo erstens prima hineinpasst und zweitens die Hose sogleich zu seiner eigenen erklärte, konnte ich meine Nähkünste nicht einsetzen, um nicht-passendes passend zu machen. Auch gut. Nun wird die Hochwasser-Windel-Bundfaltenhose bei mir eben mit ein paar todschicken Hosenträgern auf die richtigen Körperhöhe justiert.
Wochenlang konnte ich wegen der geschienten Hand nicht fotografieren. Auch wenn das Stativ das Halten der Kamera bei meinen Selfies übernimmt: ich bin schlicht am Ein- und Ausfahren von Lampenstativen gescheitert.
Endlich wurden an der Gipsschiene die Finger freigelegt. Heißa! So Finger sind schon toll, damit kann man schon eine Menge anstellen. Hier sind die ersten Gehversuche, ein kleines Trainingsshooting, um wieder in den Flow zu kommen. Da kam diese ulkige Hose gerade Recht. Weil ich aber keinen quietschgelben Verband im Bild haben wollte, wurde der kurzerhand in Alufolie eingewickelt. Was einem Heizungsrohr einen schlanken Fuß macht, kann an einem Gipsarm nicht verkehrt sein.
Mister Mo (offensichtlich ausgehungert, den mit eingegipster Hand habe ich einen großen Bogen um die Küchenarbeit gemacht) erhaschte einen Blick auf die Fotos. "Lecker, Baguette!" war sein entzückter Ausruf, gefolgt von "Willst Du das etwa ganz alleine aufessen?"
Verflixt, er hat Recht. Bei einem alufolierten Ding dieser Größe und Format muss man tatsächlich an ein knuspriges, belegtes Baguette denken, dass die werte Bloggerin da untern Arm trägt.
So ist der Titel für diesen Blogbeitrag zustande gekommen.
Den schwarz-weiß-Look habe ich mit meiner Mixed-Media-Kette ergänzt, ein tolles Machwerk aus KunstharzPerlen und gestrickten Kettenringen, die schon im letzten Herbst einen Blogauftritt hatte. Solange sie noch nicht verkauft ist, kann ich sie immer mal wieder hemmungslos tragen. Nach den Wochen der ewigen Jogginghose war es mir ein Genuss, mich wieder einmal ordentlich aufzubretzeln. Wenn ich auch noch in Sachen Frisur auf Sparflamme fahren muss. Dafür reicht das Krüppelhändchen dann doch nicht.
Besonders viel Mühe habe ich mir jedoch mit dem Make-up gegeben (einhändig super zu bewerkstelligen). Sieht man, daß ich viel Zeit auf Netflix verbracht und mich durch alle Staffeln RuPauls Drag Race durchgeackert habe?
Als Fan der ewigen Selbstverwandlung kann ich mich durchaus mit einer Handvoll homosexueller Jungs identifizieren, die ihren kompletten Ehrgeiz darin gipfeln lassen, als Frau zu performen. Da heule ich über 5 Kilo zuviel, und diese Jungs stopfen sich extra dicke Schaumstoffpolster in die Strumpfhosen um endlich ein paar Kurven an den richtigen Stellen zu kriegen. Beinhaare werden nicht rasiert, sondern unter drei Lagen Strumpfhosen verborgen. Puschige Augenbrauen werden mit Prittstift und Fön glattgebügelt und dann überschminkt. Ausufernde Geschlechtsteile werden weggeklappt und mit Montage-Tape im Schritt fixiert. Zur Not werden Kleider und Schmuck mit der Heißklebepistole direkt auf den Körper geklebt. Denn am Ende muss das Outfit nebst Accessoires bei einer schnellen Tanznummer an Ort und Stelle bleiben. Ich mag mir kaum vorstellen, wie anstrendend es sein muss, in voller Montur mit gefühlt 10 Kilo an sich festgetackertem Krempel eine Sing- und Tanznummer mit gesprungenem Spagat hinzulegen.
Extrem dickes Respekt!
In der Regel wollen diese Männer eine weibliche Rolle überzeugend (lautstark) verkörpern, aber nicht zwingend Frauen im echten Leben sein. Damit kann ich mich extrem gut identifizieren: Edna Mo ist im realen Leben auch nicht Edna Mo, sondern etwas weniger imposantes. Aber irgendwann ist man in seiner Rolle so gut, dass man das wiederum in sein echtes Leben hinübertransferieren kann.
Anders als bei Role Models speziell für Frauen geht es bei Drag weniger um optimales Ausgangsmaterial, und Drag kann deutlich mehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Du nimmst das, was da ist, und machst das Beste draus, entwirfst eine "Persona" die mit deinem Ich zu realisieren ist, egal welche Herkunft, Hautfarbe, Größe oder Alter man hat. Von diesem Selbstbewusstsein kann man sich eine dicke Scheibe abschneiden. Dagegen ist Edna Mo in Sachen Performance noch nicht mal ein Küken, eher noch ein unbefruchtetes Ei. Ich stehe auf Fotos still herum wie steifgefrorener Brokkoli und versuche, nicht unvorteilhaft auszusehen.
Was mich neben all dem Können, dass man als echte Drag mitbringen sollte (Kostüme entwerfen, Nähen, Tanzen, Perücken frisieren, Lippensynchron singen, Comedy), noch faszieniert hat, ist die Kunst, Make-up aufzutragen. Natürlich ist Drag-Make-up einen Bühnen-Make-up und völlig over the top. Wenn man sich aber die eher durchschnittlichen Gesichter vorher und die königlichen Looks hinterher anschaut, muss man einsehen, dass man durch Make-up eine sehr große optische Veränderung herbeizaubern kann, wenn man mehr als nur ebenmäßige Haut und Lidstrich im Sinn hat.
Natürlich wollte ich ausprobieren, inwieweit ich mein Gesicht verändern kann. Also hab ich mir Zeit genommen und mich nach Herzenlust durch meine Rougetöpfchen gepinselt. Auch wenn ich vielleicht keine perfekten Farben zur Verfügung hatte, bin ich vom Ergebnis doch einigermaßen verblüfft. Da ist man knapp 50 und kann trotzdem noch Babyhaut haben...und selbst meine Unfall-Narben sind dank massivem Einsatz von grünem Concealer kaum zu sehen. Danke, ihr Drags, ihr seid eine echte Inspiration!!
Kette erhältlich über ednamo.etsy.com, die kaputte Hand gibt es bei jedem Fahrradunfall gratis dazu.
In Sachen Hand geht es stetig besser. Die Gipsschiene ist zwischenzeitlich ab, und ich tue mein Bestes, die zur Zombiekralle erstarrte Linke im täglichen Training zu üben. Mit der Maschine flachformatige Kunstharzteile schleifen geht schon wieder, wenn mir auch noch die Fähigkeit fehlt, links länger konzentriert mit den Fingerspitzen Kraft auszuüben. Am "Hand"-Schliff von Armreifen habe ich mich probehalber auch schon einmal versucht. Da hat ein Schraubstock die linke Hand ersetzt, so dass ich mithilfe von Schleifhölzern die Innenrundung und rechtshändig von Hand die Außenrundung schleifen konnte.
Aber jetzt mal ehrlich: es hat ungefähr vier mal so lange gedauert wie normal und hat mich körperlich völlig fertig gemacht. Denn nur mit rechts Kraft auszuüben - auch wenn man Sitzen und Stehen und Kopfstand abwechselt, man ist am Ende des Tages ein rechtsseitiger muskulärer Betonklumpen. Mit der linken Hand wieder gut fixieren zu können, wird Teil meiner nächsten Trainingseinheiten werden. Zum Beispiel eine volle Kaffetasse am Henkel tragen. Noch kann ich das nicht, aber ich hoffe, bald wieder.
Bis bald in diesem Kino (mit hoffentlich mal wieder handwerklich inspirierten Blogbeiträgen!)
grüßt Edna Mo